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Die Person wertet durch den Leib
In vier ausführlichen Falldarstellungenstellungen klärt Markus Fußer
über die Teilhabe am Lebendigen in der middendorfschen Atempraxis auf
Markus Fußer, Person und Sinn. Einblicke in die Atemwerkstatt, Atemraum Karlsruhe 2004, 312 Seiten
 

Alle Momente des Lebendigen sind in der Atembewegung geborgen. Ãœber sie kann man an jemem wie sonst nie so direkt teilhaben. Dabei gilt das Prinzip der Unmittelbarkeit. Alles erforschen, selbst die gerühmte teilnehmende Beobachtung,  ist bereits eine Distanzierung und damit eine verändernde Beeinflussung von ihm – durch das verstehende Ich oder durch instrumentelle Erkenntnismittel, die etwas anderes hervorbringen, als das, was als Lebendiges in der Atembewegung bereits da ist. Der unmittelbare Umgang mit ihr selbst, kann deshalb nie wissenschaftlich sein.

Der Umgang mit dem Lebendigen ist auch nicht nach dinglichen Prinzipien in Raum und Zeit sicher zu stellen. Denn da sich das Lebendige energetisch und wird informatorisch im Verhältnis von innen und außen ordnet, bleibt es unreproduzierbar. Seine Gestalthaftigkeit ist nichts Fixes, das bezwingbar oder herstellbar ist. Vielmehr setzt sich diese als biologische Tendenz zur Vollatembewegung durch. Kontakt und Begegnung lassen den Atem aufblühen und Distanzformen sichern die mit ihm ebenfalls gegebene elastische Immunisierung gegen Selbstaufgabe und Bemächtigung. So gesehen birgt die Atembewegung präkognitive und präverbale Wertungsformen der Person. Sie stecken in den Empfindungen, die nicht in den Wahrnehmungen des Ichs aufgehen. Empfindungen können dem Ich diese Wertungen mitteilen und die Aktivitäten des Ichs können in diesen widerhallen. Sinnlicher Leib und wollend-beabsichtigendes Ich  können im Einklang miteinander stehen oder einander widersprechen, um sich in der symbolische Ordnung der Wirklichkeit zu bewähren.

Der Begriff der Person hört sich katholisch an. Als regulative Idee soll er das Sinnhafte im sinnlichen Atemgeschehen sowie den Begegnungscharakter in der westlichen Atemarbeit durchsichtig machen. Es gilt vor allem die werthaltige Dimension des Subjektes zu markieren, die jenseits der Verfügbarkeiten des Ichs über seinen Kör­per, ja dessen Erkenntnismöglichkeiten liegt. Person ist nie eine indivi­duelle Substanz, sondern als sensorische Relation an das Verhalten in Bezug auf andere gebunden, wodurch im situativen Verhalten die moralischen Werte eines Menschen durchschimmern. Wir können das Persönliche als in einer Situation sinnlich Dargestelltes antreffen, wenn wir einen Sinn für das menschliche Ausdrucksgeschehen haben, wir klar erleben können, wie etwas aussieht, wie beseelt eine Stimme erscheint oder wie sich als Leib die Momente der Lebendigkeit einer Person entfalten.

Es ist die eigentlich große Errungenschaft der im vergangenen Jahrhundert entwickelten Atemarbeit, in der Atembewegung jene Beziehung erleben zu können, innerhalb der sich das Lebendige an das Per­sonen­sein bindet. Dass man so tief über die Ordnungen des Atems im Leib ansetzen kann, wird zwar oftmals geahnt, aber auch deshalb kaum gewusst, weil der Umgang mit dem Atem noch immer den Status eines vortheoretischen Erfahrungsgebietes hat. Will man dessen heilkundliche Natur ans Licht bringen, kann aber auch nicht das Pathologische oder die Klinik der Ausgangspunkt sein. Eine personenbezogene Heilkunde setzt bereits an einem Punkte ein, der vor jeder wissenschaftlichen Einstellung liegt. Erfahrung und Intuition, Anschauung und Empathie sind einerseits führend, wobei die verschiedensten Meinungen über die Antriebe des Lebens, über das Verhältnis von Natur und Kultur sowie über den Umgang mit der Eigenbefindlichkeit hineinspielen. Wenn damit untechnische und nichtnormierbare Bedingungen gehandhabt werden müssen, um mit dem Kranken umzugehen, wird andererseits die Fähigkeit zum Kontakt und Begegnung  unabdingbar. Sie stellen als der eigentliche Kern des Heilens eine personale Möglichkeit dar, die in der leiblichen Struktur angelegt ist.

Das Zusprechen über den Atem und nicht irgendwelche unbekannte Größe magischer Operationen oder religiöser Wunder sind das Thema von vier Fallstudien, in denen der Autor nicht nur genau die Atementwicklung dokumentiert, sondern auch deren anthropologische Bedeutung offen legt und die Eigenständigkeit der Atemarbeit gegenüber der Psychotherapie oder Körperpsychotherapie behauptet. Die Arbeit während eines Schwangerschaftskonflikt führt in die bewusstseinstheoretische Dimension des Atems und der Atemerfahrung. Eine durch die Atemarbeit aufgehobene Funktionsstörung offenbart wie tief die Dimension des Weiblichen in der Atembewegung angelegt ist. Und die Arbeit mit emphysemisch bzw. rheumatisch Erkrankten gibt die Gelegenheit zum Brückenbau zu den Anliegen und Praktiken der Alternativmedizin. Diese werden im Blick auf das anschaulich Lebendige, wie es sich als qualitatives Aussehen der menschlichen Natur in der Atembewegung zeigt, verdeutlicht.

Fußer verpflichtet alles andere als vormoderne Medizinideen, die heutzutage oftmals gegenüber naturwissenschaftlich begründeten Therapiekonzepten sowie das institutionalisierte Komplexwissen der Medizin ins Feld geführt werden. Vielmehr wird in seinen Einblicke vor allem in Bezug auf die formbildenden Qualitäten der Atembewegung durchsichtig, wie im entscheidenden personalen Bezug von Mensch zu Mensch eine heilende Wirkung entsteht, weil in der Begegnung etwas Bedeutsames geschieht, das über den Augenblick hinausweist. Begegnung ist insofern mehr als ein Kennenlernen, Wahrnehmen und Austauschen sowie wechselseitiges Geben und Nehmen und Anteilnahme. Im gegenseitigen Durchdringen der Personen wird in deren Atemtiefe etwas durch Wandel auf Dauer gestellt. Mittels der vital-pathische Kraft der Hände wird die Begegnung zum in­stän­dige Ereignis der Atembe­handlung, das innerhalb eines offenen und dynamischen Prozesses stattfinden kann.

Indem die vorliegenden Einblicke in die Atemwerkstatt das existentielle Verhältnis von Person und Sinn thematisieren, überübersteigen sie von vornherein den klinischen Horizont, um Widerspruch gegenüber dem durch das Medizinsystem generalisierten Zwang zum cartesianischen Eingriff einzulegen.Dieser frönt einem Naturalismus, der sich von den Potentialen der experimentellen Wissenschaften narren lässt und im Grunde keinen Abgrund der Unwissenheit mehr kennt und in seiner machtversessenen Koppelung mit bürokratischen Zentralinstitutionen sich den Einzelnen im Gesundheitssystem aneignet.

Durch dessen Sozialisation hindurchgegangen kann sic h ein Großteil der heutigen Ärzte gar  nicht mehr vorstellen, dass es wesenhafte Orientierungen für das Lebendige gibt, die sic h weder durch das Wissen und die Systematik der Naturwissenschaften noch durch die tiefenpsycholo­gische Hermeneutik erfassen lassen. Nahezu durchgängig wird im heutigen Gesundheitssystem vergessen, dass es keine wissen­schaftlichen Gegenstände, sondern Leidende sind, die versorgt werden. Mit der persönlichen Abgebrühtheit, die in diesem verlangt wird, wissen nicht mehr alle umzugehen. Ärztinnen sind mit weitem Abstand die größte Gruppe, die im Alter zwischen vierzig und fünfundfünfzig durch Selbsttötung aus dem Leben scheidet.

 

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