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Atemtherapie

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Atemtherapie ist ein schillernder Begriff. Um den einen Pol des Verständnisses von Atemtherapie organisie- ren sich die zweckhaften Anordnungen des Arztes zur krankengymnastischen, physiotherapeutischen oder logopädischen Behandlung von Erkrankungen der Atemorgane und der Stimme. Gemäß ihrer noch jungen Tradition arbeiten diese vor allem mit Atemtechniken und begründen sich in den Gesetzen der Physik und Chemie. Die Sauerstofffunktion steht im Vordergrund. Am anderen Pol sind die Methoden der westlichen Atemschulen beheimatet, die im vergangenen Jahrhundert einen personen- und sinnbezogenen Umgang mit der Atembewegung als vortheoretisches Erfahrungsgebiet erschlossen haben. Die Bewegung, die beim At- men entsteht, ist also der Ausgangspunkt ihrer Praktiken, die sich damit energetisch organisieren und sen- sitiv begründen. Indirekt über die Arbeit mit der Hand (Atembehandlung, Atemmassage), der gymnas- tischen, sensitiven und kommunikativen Bewegung sowie dem Laut wird die Atembewegung mobilisiert und aus- differenziert. Zwischen dem bezeichneten Pol des zweckhaften Umgangs und dem des sinnhaften Zu- gangs zum Atem siedelt sich vieles an: Die Körperpsychotherapie hat einen atemtherapeutischen Anhang. Auch bei der Entwicklung der psychosomatischen Klinik wurden von Anfang an Atempraktiken eingesetzt. Außerdem werden den Atem forcierende Techniken genutzt, um seelische Blockaden aufzubrechen. Sportler und Künstler sowie Redner trainieren Atemtechniken, um ihre Fertigkeiten zu verbessern. Und nicht zu vergessen ist weder der Atemkern (Prana, Ch’i) indischer und ostasiatischer Meditations-, Massage- und Bewegungspraktiken (Yoga, Tai Qi, Qi Gong, Akupressur, Schiatsu) noch das Atemherz der energe- tisch-informatorisch orientierten Alternativmedizin des Westens, die das homöopathische Prinzip und die chinesische Meridianlehre vereinigt.

Westliche Atemarbeiten zielen auf eine personale Mitte des Befindens. Diese im sinnlich-sensorischen Ver- hältnis von Innenwelt und Außenwelt zu finden, ist der menschlichen Existenz aufgetragen. In der personen- bezogenen Atemerfahrung des Westens stoßen wir darauf, wie in der Atembewegung die bewussten Akti- vitäten des Ichs, der entschlossene Wille und die kognitive Wahrnehmung, widerhallen. Einerseits spendet die Atembewegung den Tätigkeiten des Ichs Rückhalt. Andererseits widerspricht sie dessen Absichten mit leiblichen Bedürfnisappellen, die von einem einfachen Missbefinden über emotionale und affektive Erregun- gen bis zur aufgelösten Handlungsfähigkeit reichen können. Mit den eigenen Sinnen über sich hinaus in der Welt zu sein und die selbstzuschaffende Welt in sich zu haben, sind die beiden Befindungsaspekte des “In- der Welt-seins” (Martin Heidegger), welche in der Atembewegung zusammengeschlossen sind. Mit dieser rhythmischen Innenbewegung ist jene Grundempfindung gegeben, über welche sich die “Einheit der Sinne” (Helmuth Plessner)  integriert. So weis der kulturelle Fundus, die Religion, die Philosophie und die Literatur, überhaupt die Kunst, besser als die heutigen psychologischen Wissenschaften darum, dass sich im Atem ein echter Ausdruck der Seele zeigt. In der Atembewegung wird über das als Empfindungssachverhalt berichtet, was als Aufgabe der psychischen Funktion anzusehen ist: nämlich die Vermittlung des Bewusstseins bzw. des Geistes mit der sinnlich-sensorischen Welt, der Wahrnehmung mit der Empfindung und der neurologisch-physiologischen Vorgänge mit dem Erleben.

Die subtilen Atempraktiken des Westens haben sich so in das Atemgebiet mit seinen muskeltonisch-ener- etischen Regulationen hineingearbeitet, dass sie nicht nur die seelische Schnittstelle in der Atembewegung zur ihrer Angelegenheit werden lassen konnten, sondern auch die vegetativen Kreisläufe und Funktionsein- heiten zu beeinflussen vermögen. Doch das eigentlich Bewirkende entspringt der Begegnung, wobei der geringstes Impuls im Reich des Lebendigen die größte Wandlung hervorrufen kann. Die in der Geschichte der Atemarbeit entdeckten und je im einzelnen unterschiedlich einsetzbaren Potentiale sind für ausfächern- de Entwicklungen sowohl in der Gesundheitsprävetion als auch der gezielten Therapie offen. So wundert es nicht, wenn die oben zur unterscheidenden Verdeutlichung gezogenen Trennlinien  inzwischen - wenn auch noch zaghaft - auch durch die Entwicklungen im Rahmen einer “evidenz-basierten Medizin” eingerissen werden. Indem sowohl die Mess- als auch die Rechenkünste gegenüber den Entwicklungen im Lebendigen zu verfeinerr werden, werden die klassischen Grundannahmen brüchig. Es wird der Raum für Annäherungen geschaffen. So wie sich die krankengymnastisch- physiotherapeutische Atemtherapie ursprünglichen Inspirationen aus der frühen Beschäftigung mit dem Leib und dem Atem verdankt, um sich auf eigener Basis weiterzuentwickeln, so finden inzwischen in der Therapie einzelner Krankheiten Integrationen alternativer Medizintechniken und Heilverfahren statt. Diese sind inzwischen soweit in die Reife gekommen, dass sie Innovationen im universitär gesteuerten Medizinbetrieb mit anstoßen. Der informatorischen Impuls jedoch, wie er aus der zwischenmenschlichen Begegnung als das therapeutisch Wirkende entspringt, ist weder zu planen noch zu organisieren.