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Sozialstrukturelle und geschichtliche Bedingugen

"Die deutsche Schule ist nicht mehr zeitgemäß gestaltet,
die pädagogischen Möglichkeiten unserer Gesellschaft werden nicht optimal genutzt."
(Peter Struck, Pädagogikprofessor in Hamburg,198
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Sozialstrukturelle und geschichtliche Bedingungen von Schulkonflikten

Das deutsche Schulsystem mit seiner in Europa einzigartig frühen Selektion ist durch internationale Ver- gleichsuntersuchungen in die Kritik gekommen. Es produziert durchgängig Mittelmaß und gehört nicht zur Spitze, zu der sich besonders jene Lehrer zugehörig wähnen, bei denen sich der Standesdünkel gestützt durch vergleichsweise angehobene Einkommen und des oftmals mühsam erworbenen Beamtenstatus bis heute erhalten hat. Am unteren Ende, dort wo Arbeitslosigkeit und Immigrantenhintergrund der Eltern den Habitus der Schüler mitprägen, sieht man vor allem Bilder der Hilflosigkeit und vereinzelt innovative Licht- blicke.

Vor allem der Blick auf die skandinavischen Ländern entdeckt eine alternative Bildungskultur, nämlich eine radikal andere und historisch fortgeschrittenere Möglichkeit des Lernens, die keineswegs zufällig in der öffentlichen Diskussion des wiedervereinigten Deutschlands tabuisiert ist. Man verzichtet dort bis einschließ- lich des siebten oder achten Schuljahres auf die Notengebung, die von den artikulierbaren Bedürfnissen und den tatsächlichen Aktivitäten des Lernens, den besonderen Lernmöglichkeiten und den eigenartigen Bega- bungen sowie der biografischen Entwicklung des einzelnen Schülers absieht und gegenüber dessen kon- kret-komplexen Lernbedingungen ein abstraktes Leistungsmaß darstellt. Die hierzulande übliche Zensur ist als machtlizensiertes Instrument statischer Leistungsermittlung völlig ungenügend und längst auch als ein- seitige und veräußerlichte Motivationsformierung kritisiert, die allzu oft die inneren Antriebe zur Selbstentfaltung durch die Aneignung von Gegenständen, Fertigkeiten und Fähigkeiten verbarrikatiert..

In den nordischen Ländern dagegen wird bewiesen, dass es nicht nur möglich ist, ohne Notenerteilung bis zum Abschluss der kindlichen Bildungsprozesse in der Pubertät, das Lernen der Schüler auf ein Gymnasial- niveau hin zu entfalten. Wenn in Schweden über 50 und in Finnland sogar 80 Prozent eines Jahrgangs die Hochschulreife erreichen, so verbergen sich hinter diesen Zahlen nicht nur individualisierte Lernprozesse  und persönliche Zugewandtheit im Lehrer-Schüler-Verhältnis, sondern auch freigesetzte Individualbegabungen, die in der hiesigen Dreiklassenschule selten im Horizont der Wahrnehmung der Schüler und Lehrer auftauchen. Diese Egalisierung in der Bildung korrespondiert nämlich mit einer Entfaltung der individuellen Potenzen und einem höheren Grad sozialer Teilhabe aller Beteiligten.

Während man es also in den skandinavischen Ländern oder auch in den Einwanderländern Kanada und Neuseeland schafft, alle Schüler eines Jahrgangs auf gymnasialem Niveau - bei Verzicht auf den deutschen Philologenhochmut - bis zu einem mittleren Bildungsabschluss zu unterrichten, produziert man im wieder- vereinigten Deutschland in allen Schulkategorien zuhauf gedemütigte Sitzenbleiber und gescheiterte Bil- dungskarrieren. Aus letzteren gehen nicht nur wie in den Vereinigten Staaten Amokläufer hervor, die in ihrer Verzweiflung und ihrem Hass, aus Rache für erlittene Herabsetzung, Zurückweisung und Schikane Lehrer und Mit- schüler gleichermaßen niederschießen. Auch in den Realschulen, in denen das traditionelle Lehrerverhalten noch am wenigsten zurückgenommen ist und noch leidlich funktioniert, produziert man besonders sichtbar auf dem Gebiet der ehemaligen DDR Kader für die rechtsradikale Partei und Mitglieder für deren Kamerad- schaftsvereinen, die es inzwischen verstehen, die "linken Spießer" auch in den Lehrerkollegien aufs Korn zu nehmen.

Unterschwellig sind die traditionellen Identitäten von Lehrerkollegien schon lange infrage gestellt, nachdem die Feminisierung des Lehrerberufs das Eindringen emanzipativer Frauenfragen befördert hat und die Kritik des autoritär-patriachalischen Verhaltens auch aus diesem Grunde nicht unterzukriegen ist. Beide kommen im Grunde in ihrer Stellungsnahme gegen Kontaktlosigkeit und reduzierte Kommunikationsfähigkeit zusam- men und gewinnen durch die inzwischen etablierten Psychotherapiekulturen der Gesellschaft eine ausdif- ferenzierte Argumentationsbasis. Vieles erscheint inzwischen auch als pure Unfähigkeit sich zu benehmen, was in frü- herer Zeit zwar hingenommen, aber Unbehagen hervorrief. Außerdem sind seit Jahrzehnten die Konzepte für ein kooperatives Lernen und eine veränderte Lehrerrolle, wonach der Lehrer Initiator und beraten- der Begleiter werden soll, bis hin zu einem kreativen Konstruktivismus des Lerngeschehens, ausgerufen. Der Erfolg der reformerischen Einpas- sungen in das Schulsystem jedoch ist mäßig. Selbst das Bescheidene gelingt nicht, was eigentlich ohne Totalumwälzung hin zu einer anderen Logik des Zusammenlebens, welche die nordi- schen Ländern offerieren, möglich sein könnte:

Die institutionell verliehene Macht des Lehrpersonals wirkt konservativ und ist nahezu unangreifbar. Der Be- amtenstatus lässt dem Lehrer die Möglichkeit, die Tür hinter sich zuzumachen, was ihn nicht nur davor abschirmt, sich verändern zu müssen. Der Lehrer ist im Prinzip gegenüber der Kritik von Seiten der Eltern abhold und selbst wenn er unverschämt Schüler schikaniert und offensichtlich ungerecht benotet, kann man ihm kaum entgegentreten. Da umgekehrt die Eltern die meist auch berechtigte Angst haben, dass Wider- spruch gegen Lehrer an ihrem Kind abgegolten wird und die Elternvertreter zur Anpassung neigen und mit ihren Interessen allenfalls im Ausnahmefall den Grundkonsens mit einem Lehrer oder gar einem ganzen Kollegium bzw. der Schulleitung in Frage stellen werden, bleibt die Gesamtsituation eingefroren und das kritisierenswerte Einzel- ereignis eingedämmt. Da vom Innern des Systems selbst keine prinzipielle Kritik kommt, entsteht auch kein gesellschaftlicher Rückhalt für Veränderungen. Hinzu kommt, dass auch die radikalen Reformimpulse, die das Bestehende grundsätzlich in Frage stellen,  im Infotainment der Fernsehsender beschwiegen bleiben.

Vor allem sind die heutigen Debatten an der institutionell gebundenen und biografisch eingelebten Wahr- nehmung gebunden. Auch aus diesem Grunde werden viele der gutgemeinten Lernziele neuerer Lehrpläne, die infolge von PISA und Co. renoviert werden, besonders in vergreiste Haupt- und Realschulkollegien unter- laufen. Sie werden nicht nur von denen torpediert, deren Unterrichtsvorbereitung seit Jahrzehnten minimali- siert ist. So vermochten vor allem jüngere ambitionierte und engagierte Lehrer allenfalls die Gesamtsituation zu modifizieren, wenn ihnen die seltene Unterstützung älterer Kollegen zukommt. In der Regel sind erstere froh, in ihrer sozialen Engagiertheit und fachlichen Ambitioniertheit nunmehr geduldet zu werden und nicht wie so oft in der eingefrorenen Zeit seit Mitte der achtziger Jahre erfahren zu müssen, dass ihre Initiativen von in ihrer Identität angegriffenen älteren Lehrerkollegien mutwillig gestört werden.

Individuelle Entwicklungspotenzen des Einzelnen bleiben ungenutzt, wenn der interne Kooperationsgrad der Lehrertätigkeit in der Regel zu gering ist, was auch deshalb ein gravierendes Manko sein kann, weil Lernen und Bildung komplexer Kommunikation bedarf, sofern - worauf es heute unabdingbar darauf ankommt -  die individuellen Kräfte für den Fertigkeitserwerb genutzt und die individuellen Talente in der Fähigkeitsent- wicklung freigesetzt werden sollen. Je dichter die Kooperationen unter den Lehrern sind und über einfache Absprachen besonders disziplinarischer Art hinausreichen, desto mehr gerät der Schüler in seinen zu fördernden Eigenheiten in das Blickfeld. Auch wegen der Kooperationsdefizite bleibt das persönl- iche Verhalten von Lehrern unberührt und es besteht kein Appell zur persönlichen Stellungsnahme. Letzten Endes wird nicht nur wortlos toleriert, wenn ein Kollege Schülern gegenüber seinen Antipathien freien Lauf lässt und sie un gerecht behandelt und schikaniert, sondern auch mit seinem Gesamtverhalten auf der Klip- pe des Ungeeignetseins für die heutigen Anforderungen zur Ausübung des Lehrerberufs stehend erscheint

Wachere wie ambitionierte Abiturienten spüren gegenwärtig ein Unbehagen und sind auch deswegen wenig darauf erpicht, Lehrer zu werden. Der Lehrerberuf ist gegenwärtig kein Ziel des Engagements, weil dafür noch keine zugkräftige Ziele einer politischen Reform formuliert werden konnten, für die es sich einzusetzen lohnt. Zu sehr schreckt das Vorbild besonders jene pädagogisch begabteren Mittelschichtskinder ab, die in ihren Fa- milien ein Miteinanderreden und damit ein gepflegteres Kommunikationsniveau gewohnt sind, das ihnen von einem Teil der Lehrer noch immer geboten wird. So werden eher die falschen, nämlich diejenigen Lehrer, denen die beruflichen Inhalte relativ gleichgültig, aber die mit dem Beamtenstatus gegebenen sozialen Sicherheiten und hohen Einkommen sowie den vielen Ferien wichtig sind. Immer noch kann jeder Lehrer werden, der es nur will. Mancher, der fleissig die Prüfungen durchgestanden und sich im Referendariat gut geführt hat, kommt schließlich schlecht mit dem Umstand zu- recht, dass er es nicht mit Lernstoffen, sondern mit Menschen zu tun hat. Diese sind heute wegen der seit 1968 gereifteren demokratischen Verhältnissen und nicht zuletzt auch durch die Vorbilder des Fernsehen zu einer selbstbewussteren Artikulation ihrer eigenen Bedürfnisse und Ansichten fähig. Sie könnten ein positives Lernklima mitgestalten, wenn man sie auch dazu hinführt und lässt.

Inzwischen drohen in der anhaltenden Debatte um die Zukunft des Schulwesens die Anstöße zu zerrinnen, welche die empirische Bildungsforschung im letzten Jahrzehnt gegeben hat. Zwar glimmt noch eine politische Glut, aber ein Feuer lodert allenfalls einmal auf, ohne dass es zum Brand kommt. Auch wenn die empiri- schen Vergleichsstudien der bestehenden Praxis grundsätzliche Mängel bescheinigen, gilt es sich keines- wegs von den Ergebnissen der veröffentlichten Untersuchungen narren lassen. Bei einer Reserviert- heit ihnen gegenüber besteht keineswegs das entscheidende Problem darin, dass deren theoretischen Ausgangshypo- thesen gegenüber den angehäuften his- torischen Kritiken viel zu reduzuiert sind und den leichten Weg offerieren, die Bildungsfrage vor allem zu einer Sozialfrage zu stilisieren. Durch den status quo der institutionellen Wahrnehmungen sind sie wegen der geringen Komplexität der anleitenden Theorien auch wiederum von allen Seiten vereinnahmbar. Damit ist Tür und Tor dafür geöffnet, dass sich alle bequem zurücklehnen können. Uns soll stattdessen zum Problem werden, dass weder aus einer Wissenschaft zu deduzieren ist noch wissenschaftliche Experten uns sagen können, wie wir leben und lernen sollen. Deshalb gilt es gegen- über den technokratischen Allmachtsansprüchen der Einzelwissenschaften eine Sicht zu gewinnen, die sich radikal der historischen Perspektive einer strukturellen Entfaltung der Bildung und der Schule vergewissert.

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Der Atemlehrer sieht zunächst die leib-seelischen Verarbeitungsweisen der Menschen, die im Sozialsystem Schule arbeiten und lernen oder als Eltern von ihm betroffen sind. Er schaut angeleitet von einer mit der Atemerfahrung ursprünglich gegebenen und in reflexiven Abstand zu ihr gesetzten Anthropologie auf die Sozialphänomene der Erziehung und Bildung. Innerhalb seines durch den Atemleib als Symbol gegebenen Rahmens erhält Bedeutung, was gemeinhin nebensächlich erscheint und als selbstverständlich hingenom- men wird. Dabei hat es der Atemlehrer mit leidenden oder erkrankten, aber auch mit Lehrern zu tun, die an der Entfaltung ihrer eigenen Potentiale interessiert sind und deshalb ihren Atem pflegen.

Wohl kaum in einem anderen Sozialbereich als dem der schulischen Bildung dürfte der Zusammenhang zwischen der blockierten Selbstentfaltung durch das soziale System und der Gefahr des Erkrankens enger und aber auch die Potentialität einer erfüllten Tätigkeit höher sein. Denn für das Lehren gilt, was in der Atemarbeit besonders durch das Kommunikative Bewegen von Volkmar Glaser (vgl. hierzu die beiden Buchbesprechungen "Eutonie" und "Berührtsein") unmittelbar erlebbar wird: Das wirkliche Bezogensein der Personen gründet in einer erfüllenden sensorischen Verbindungskraft und kann als Ursprung der menschlichen Energie identifiziert werden.

Und umgekehrt wird in der westlichen Atemarbeit durchsichtig, wie eine von feindseligen Haltungen durchzo- genen Unterscheidung – sie ist historisch durchaus dem Lehrerhabitus eingebrannt - mehr als nur eine abgrenzende Distanzform darstellt. Sie ist ein Krafträuber, der den anderen verletzt und von der eigenen Problematik durch Projektionen und Übertragungen entlastet. Denn in aktuellen Konfliktsituationen wird nach den unabweisbaren Erkenntnissen der psychoanalytischen Klinik immer das früher Erlittene aktualisiert und reinszeniert, was aber in dem institutionalisierten Machtverhältnis, das die heutige Schule prägt, nunmehr in der Regel auf den Schwächeren abgelassen werden kann, wenngleich es auch häufig die Besetzung des Lehrers durch negative Schülerinformationen gibt. Ist keine Entlastung auf Kosten des Anderen möglich, wirkt selbst der unscheinbarste Negativgedanke selbstverletzend. Die Erfahrung mit der Atem-Resonanz-Diagnostik bestätigt die psychoanalytischen Grundannahmen (vgl. hierzu die Rubrik Atem und Information). Wer auf seinen eigenen Konflikten sitzen bleibt, bildet Funktionsstörungen und Krankheiten aus.

So könnte etwa ein Kursus im Kommunikativen Bewegen jedem Lehrer eine erste Ahnung davon geben, was ihm an Erfüllsein und Lebendigkeit entgeht, wenn die soziale Teilhabe zu kurz kommt, Unklarheit im Lehrerverhalten und fehlende persönlicher Stellungsnahme die Atmosphäre bestimmt. Die Kommunikation kann durch ihre Verschränkung mit Machtmitteln nach allen Seiten hin unredlich werden und einer selbstgerechten Moralisierung  Auftrieb geben. Die klassische Atemarbeit, deren Kern das gegenseitige Bewegt-werden und Bewegen- lassen ist, ermöglicht das Ideal einer herrschaftsfreien Kommunikation gegenüber der schulischen Misere zu setzen. Doch nicht der kritische Gedanke ist das Medium einer solchen Kritik, sondern die unmittelbare Selbsterfahrung. Die atembewegte Leiblichkeit gibt uns Auskunft über die Qualität des Vermögens, wie sich zu anderen verhalten wird.

Zusätzlich zu dem gewöhnlichen Atemgeschäft hat es sich ergeben, dass Atemschüler den Atemlehrer um Rat und Hilfe in Schulkonflikten nicht nur als Lehrer, sondern auch wegen ihrer eigenen Kinder bitten. Sie wissen um die Möglichkeiten der Human-Spektral-Analyse von Friedrich Ochsenreither, die sie aufgehoben in der Atem-Resonanz- Diagnostik kennen gelernt haben. Bereits durch den ochsenreitherschen Resonanz- abgleich ergibt sich für die schulgebundenen Thematiken eine erstaunliche Sichtweise auf das Defizitäre, das in der normalen Atemarbeit durch Kontakt und Begegnung aufgehoben wird. Es kann mittels Resonanz- abgleichen ganz im Sinne der romantischen Tradition hinter die Gardinen geschaut werden. Darüber hinaus kann das normale Atemgeschäft atempsychologisch vertieft werden, indem durch den Resonanzabgleich seelisch-geistige Information ermittelt werden können, die Ungleichgewichten in der Atembewegung zuzuord- nen sind.

Soweit durch den Resonanzabgleich das leibliche Missbefinden als präkognitive Wertung in seinem seelisch- geistigen Gehalt sichtbar wird, kann es aus dem dumpfen Erleben ins präzise Innewerden wandern. Derart zur Artikulation gebracht, findet sich in der Atembewegung die Scheidung gegenüber der erlebten Realität und die Möglichkeit eines gewandelten Befindens. Doch aus dieser Schnittstelle des Lebendigen, an welcher das Wort in Atem und die Bewegung des Atem in die Inspiration übergeht, soll mitnichten Nektar für anthro- pologische Unmittelbarkeiten gesogen werden. wie es in esoterischen Kreisen zu besichtigen ist. Denn wenn wir mit Hilfe der Atem-Resonanz-Diagnostik eine erweiterte Auskunft über die sensorisch-sinnliche Räumlichkeit erhalten, innerhalb welcher der Mensch seine persönliche Mitte finden muss, indem er dialogische Verhältnisse zum anderen entfaltet, so gewinnen wir vor allem Eindrücke, die jenseits der Kausalgesetze liegen, wie sie mit der körperlichen Ordnung durch physikalische und chemi- sche Gesetze gegeben sind. Wir sehen die anthropologischen Kurzschlüsse, zu denen esoterische Praktiken verleiten und die zu einer neuen Quelle des Leidens werden können. Stattdessen suchen wir aus einer geschichtlichen Standortbestimmung heraus die Atemarbeit zu legitimieren.

Der Inbegriff des Seelischen, nämlich die Vermittlung zwischen der sinnlich-sensorischer Bewegungsweise und der Kultur bzw. der menschlichen Natur und den eigenständigen, außerhalb des Menschen sozial ge- setzten Wertungsreichs, wird entscheidend. In diesem Relationsgefüge ist der menschlichen Begegnungs- charakter beheimatet, weshalb wir aus der westlichen Atemarbeit Maßstäbe für erweiterte Möglichkeiten der menschlichen Existenz sowie der Erziehung und Bildung gewinnen können. Während sich also die Psycho- therapie  in einem kulturkritischen Wertebezug entfaltet, nimmt die atempsychologisch orientierte Atemarbeit die seelischen Belastungen punktgenau in ihrer leiblichen Dimension der personenbezogenen Werteregu- lation wahr. Damit erhält das kultur-, zivilisations- und gesellschaftskritische Potential, das die Tiefenpsycho- logien des zwanzigsten Jahrhunderts erschöpfend entfaltet haben, eine leibtheoretisch-atempsychologische Fundierung, die aufs Neue für das Bildungssystem verlangt, nicht nur die Kommunikationskonzeptionen der Humanistischen Psychologie gegen das traditionale Lehrerverhalten durchzusetzen, sondern auch die Herr- schaftsvermitteltheit von Bildung und Ausbildung zu neutralisieren.

Indem die Atemarbeit wie wohl keine andere Therapie so differenziert die Person in der Leiblichkeit mit ihrer präkognitiven Wertungsorganisation aufsucht, trifft sie in der Atembewegung an, wie sich die schulische Außenwelt sensorisch in die Innenwelt der Lehrerpersönlichkeit einfaltet und sich dessen biografisch ge- wachsene und durch institutionelle Leitideen kristallisierte Innenwelt sensorisch in die Welt hinausfaltet. Dabei lernt der Atemlehrer auf eine eigene Weise kennen, wie sich das Tun und Lassen des Einzelnen an ihm unverfügbaren überindividuellen Sozialkräften bricht, die in den letzten Jahrzehnten von dem jüngeren Lehrer Anpassung verlangt und selbst dem Mores gelehrt haben, der nur von der vorgegebenen Bahnen ab- wich, einfach nicht so richtig spurte und nicht einmal seine erstarrten Kollegien auf Abwege führen wollte. Insofern birgt die Atem- arbeit auch von vornherein einen sozialen Appell, der über die unmittelbaren Hilfen hinausgeht. Es gilt nicht nur die individuellen Bewegungsräume gegenüber den Rigiditäten zu erweitern, welche die Schule und das jeweilige Kollegium innerhalb ihrer systemischen Grenzen setzen, sondern letztere selbst kritisch in den Blickpunkt zu nehmen.

Indem die individuelle Misere ausgleichende Hilfen gegeben werden, drängt sich auch immer eine über den Einzelfall hinausführende Sichtweise auf. Was als individuelles Geschick erfahren wird, erscheint als soziale Tatsache, weil gerade in der Tiefe der Leiblichkeit wiederum sichtbar wird, wie das Soziale über den Aufbau und Zerfall von Atemgestalten im Individuum wirkt. In den Schülergruppen und Lehrerkollegien werden in den tagtäglich erlebten Ereignissen, der Bestätigung unhinterfragter Selbstverständlichkeiten in der Routine sowie den Modifikationen der Einstellungen durch die Alltagskonflikte Skripts des kollektiven Unbewussten ge- schrieben, die als überindividuelle Handlungsanweisungen den einzelnen geistig führen, affektiv bedrängen und emotional unterwerfen. Das ideell Vorgefundene bildet kaum der Kritik zugängliche kollektive Hinter- grundselbstverständlichkeiten für das Handeln des Einzelnen aus, von denen sich dieser zunächst konsu- mieren lassen muss, um eine Position innerhalb der jeweiligen Gesellungseinheit der Schule, Lehrer- und Klassenkonferenzen sowie den Klassenverbänden und den Leitungsorganen zu finden..

Gerade weil wir in der Atemarbeit, besonders in der Atembehandlung, hautnah der leiblichen Basis des Bewusstseins, der Wahr- nehmungen und Entscheidungen des Ichs, begegnen und mit ihm arbeiten, sind wir darauf aufmerksam ge- macht, dass sich die Aktivitäten des Ichs weitaus mehr der Bindung an soziale Kollektivprozesse verdanken, als sich der einzelne zugestehen kann. Das Ich als Komplex von bewussten und unbewussten Einstellungen verhält sich deshalb in der Regel opportunistisch, denn es ist bei gelungener Sozialisation in den Sozialkorpus eingepasst. Dieser muss ihm nicht einmal offen mit ihm eigenen Affektlagen drohen, die aus seinem kollektiven Unbewussten genährt sind. Von sich aus tanzt das gut sozialisierte Ich nicht aus der Reihe, denn es gewinnt in der Regel seine Stärke durch Affirmation gegenüber dem Bestehenden.

Die Aktivitäten des Ichs erhalten nur in Ausnahmefällen eine ihm widersprechende Gewissenskorrektur durch die Person, deren Werte leiblich eingeschrieben sind. Doch diese moralischen Normkonflikte sind seltener geworden. Offenbar bedarf es der kreativen Aktivierung von Alternativkonzepten durch soziale Bewegungen, dass sie sich auch dem einzelnen als produktiv zu bewältigender Konflikt stellen. Ansonsten fällt dem weni- ger Abgestumpften eher das Nebensächliche, das Atmosphärische im weitesten Sinne des Wortes auf. Moralisierende Fragen, wie verkommen man eigentlich sein muss, um als Funktionsträger zu parieren, füh- ren selbst dann ins Ab- seits und ins Elend, wenn Probleme gesellschaftspolitisch virulent geworden sind und ihre sozialen Träger gefunden haben.

Wird thematisiert, wie die Kollektivseele mit ihren eigenen Affektprägungen in das Individuum eindringt, sind vor allem die beiden atmosphärebildenden Atemgestalten Hintergrund und Positionierung entscheidend. Mit der ersten werden die heutzutage brüchig gewordenen Selbstverständlichkeiten gebunden, nach denen der einzelne innerhalb einer Sozialität handelt. In der Atemgestalten HIntergrund schlägt sich beim Einzelnen der seit seit 1968 unterschwellig wirkende und unentschiedene Grundsatzkonflikt nieder: zwischen traditionellem Lehrerverhalten und einer die Lernsituation offenhaltenden Lernbegleiter. Ersteres klagt Lernwerte in normati- ver Rigidität ein und ist direktiv angelegt. Es bedarf des Sündenbocks zur seelischen Entlastung der dadurch bei den Schülern auf- gestauten Triebenergien. Das Ressentiment beherrscht die Atmosphäre. Professionelles Lehrerverhalten unterliegt heute dem Anspruch, auf die konk- reten Bedingungen des Einzelnen zu orientieren. Es nimmt dessen Beitrag wichtig und behandelt ihn dementsprechend ernsthaft. Die Schülergruppe erlernt das rationale Gespräch untereinander, was dann auch in den informellen Prozessen zu stabiler Interaktion führt, nicht nicht wie bei traditionellen Lehrerverhalten vornehmlich durch den Affekt untereinander geführt wird.

Mit der zweiten Atemgestalt ist die sichere Selbstverortung innerhalb eine Sozialität gemeint und sie gestal- tet sich demnach, wie weit oder eng deren geistig-soziale Horizontbildung ist und dementsprechend die Atmosphäre für den Einzelnen vorprägt. In der Positionierung wirken vor allem Aspekte der Dauer. Sie haben meist beharrenden Charakter. Der neue Lehrer findet je nachdem nur seinen sicheren Platz, wenn er sich entweder kritiklos anpasst oder über jenes innere Distanz- und Unterscheidungsvermögen in einer großen Atemräumlichkeit verfügt, die ihm offene Kommunikationsbalancen zu entwickeln gestattet. Auch hier sind die Kooperationsgrade inner- halb der Schulgruppen entscheidend, wie sich Atmosphären aufbauen, die erlauben, den Kontakt als Basis der Kritik auch in der Unterscheidung zu halten.

Im traditionellen Gemeinschaftsverhalten herrscht normative Enge vor. Dabei setzen sich vor allem hinter- rücks die Machtverhältnisse in den informellen Gruppen durch. Dabei beherrschen Lehrer zunächst als Platzhalter die Szene. Ihr Verhalten ist immer für das der Schüler untereinander entscheidend. Je gerin- ger die individuelle Selbstpositionierung des Schülers desto größer ist die durchs Lehrerverhalten ausge- messene Verortung des einzelnen in dem sphärischen Raum der Klasse. Bleibt das Lehrerverhalten unklar - und das ist immer um so mehr der Fall als es durch den Sumpf der Gemeinschaftsideologie und nicht durch die Prinzipien moderner Kommunikation geführt ist -, schlagen sich die familiären Prägungen ungebrochen als Formbildner des Schülerverhaltens durch. Wer als Schüler rigide erzogen worden ist oder im Gegenteil keine klare (männliche) Orientierung in der Familie erfahren hat, ist von einer Hilflosigkeit gezeichnet, die ihn zum Petzer; Schleimer oder Anschwärzer werden lässt. Und sollte er einst Lehrer werden , wird er dies wiederum bei Schülern goutieren und dementsprechend Schülern schmeicheln oder abweisen.

Der Aufbau dieser beiden Atemgestalten Hintergrund und Positionierung ist die unentbehrliche Vorausset- zung, damit ein Mensch gelungen handeln kann. Ihre Bewegungsqualität der Fülle und der Dichte entscheidet über die Stärke der Energie des einzelnen. Sie bestimmen dementsprechend die allgemeinen Maße, wie er sich der einzelne in einer Situation verhält. Der Ausfall dieser gestalthaften Atemsensorik führt zu einem Vitalitätsmangel. Er lässt das Individuum ohnmächtig werden, wenn es sich Raum gegenüber anderen schaf- fen müsste oder ruft Existenzängste hervor, wenn es sich hingeben sollte. Muskeltonisch sprechen wir hier vom Lagetonus, der die allgemeinste Regulationsebene des Befindens im sensorischen Raum und energetisch die Sondermeridiane im Verhältnis zur Wachheitssteuerung über die Formatio retikularis betrifft.

Auf der Statik des Lagetonus wiederum bauen die empathischen Qualitäten des Verhaltens, die Reagibilität zum Anderen innerhalb der Selbstzentrierung der eigenen Kräfte als momentaner Prozess auf, dessen Dy- namik durchs Bemerken und Aufmerken bestimmt wird. Wir haben unter dem Aspekt des Kommunikativen Bewegens bereits von dieser Quelle der menschlichen Energie gesprochen, die aus dem wirklichen Kontakt bzw. der zwischenmenschlichen Bezogenheit hervorgeht. Dem Aufeinanderbeziehen der Personen ist die Achtsamkeit inhärent. Diese Quelle ist bei dem versiegt, der an der neuen Lehrerkrankheit Born-out-Syndrom leidet. Ihr liegt wiederum jene sondermeridiane Atemqualität zugrunde, die phasentonisch reguliert ist.und die Grade der Aufmerksamkeit sensorisch verpflichtet. Empathie ist insofern nie interesselos. Nur wenn etwas in der Kommunikation oder Interaktion bedeutsam ist, werden wir bewegt oder wir lassen uns bewegen..

Der Blick auf das leibliche Reich der Atembewegung als Resonanzphänomen zeigt uns, was mit der Misere des Schulsystems auf dem Spiel steht. Er macht uns darauf aufmerksam, in welchem Maße individuelle und familiäre Konfliktdispositionen durch den Schulalltag aktiviert statt umgekehrt neutralisiert werden, wodurch das Ressentiment geradezu als Grundsachverhalt des deutschen Schulsystems herausgetrieben wird. Der Einzelne bleibt mit all seinen inneren Ungleichgewichten in den gegebenen Sozialstrukturen gefangen. Er konserviert diese rückwirkend, indem er sie mit seinem biografisch erworbenen Habitus konsumiert. Wenn aber gar durch therapeutische Selbstvergewisserung oder politisch sozialisierte Biografien die individuellen Handlungsräume erweitert und in eine lebhafte Balance zu den Möglichkeiten der Institution und der Lehrer- individuen gebracht werden können, zeigen sich wiederum sehr schnell die Grenzen, die durch das frühe Selektieren des Schulsystems gezogen werden.

Dabei wird vor allem aber in der therapeutischen Erfahrung interessant, wie die institutionelle Macht sich in den einzelnen eingräbt und besonders die leibliche Nähe-Distanz-Regulation durch das Nabelfeld geformt wird: Das Nabelfeld reguliert die Vorderseite, das individuelle Nach-vorne-treten. Was im Kollektiv geborgen ist kann den Rückhalt dafür darstellen, dass jemand als Persönlichkeit zu erscheinen vermag, Dies ist dann der Fall, wenn die Atemgestalt Nabelfeld mit der Atemgestalt Hintergrund und Positionierung energetisch vermittelt ist. Ist bei einem Lehrer die Nabelkraft im frühen Kindheitsverhältnis durch Zurückweisungen der Mutter oder des Vaters verletzt, so ist dieser nur zu einen Pädagogik der kühlen Distanz fähig. Er betont die Disziplin und hält die Kontrolle über die Aktivitäten des Einzelnen, was so dicht sein kann, dass es nahe an dialogische Beziehungen hinreichen kann, aber doch nie deren Echtheit und Herzlichkeit erreicht, die im Mitsein durch primäre Verbundenheit zum Tragen kommen. Je mehr aber das bezogene Verhalten fehlt, desto mehr werden durch Machtgebrauch im Schulunterricht die leiblich- sensorisch angelegten mensch- lichen Verbindungskräfte geschwächt, die das produktive und kreative Lernen befördern.

Auf der Grundlage einer Atemtheorie ist erneut die vom deutschen Idealismus sowie dem Marxismus aufge- worfene Grundsatzfrage um die Gesellschaftlichkeit der inneren Naturbewältigung zu stellen, die besonders von dem Heideggerschüler Herbert Marcuse in der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit aufgeworfen und auch von Jürgen Habermas als Kernthema gestellt wurde: Wie vermittelt sich die Sozialität in die mensch- liche Eigennatur hinein und wie tendiert umgekehrt diese als soziale Natur dahin, den status quo der jewei- ligen Sozialitäten zu bestätigen? 1968 war die Machtvermitteltheit des Schulsystems in die Kritik gekom- men. Seither haben sich Psychotherapiekulturen entfaltet, die sowohl Kommunikationsdefizite zu mildern verstehen, als auch darauf aufmerksam machen, wie deformierte Kommunikationen die Lernatmosphären unerquicklich werden lassen und  per se ineffektive Lernformen gebieren. Doch solange im deutschen Schulsystem diese frühe Bindung der sozialen Selektivität an die Bildungskarriere besteht, bleibt das Lehrerverhalten machtvermittelt und darin per se Kommunikationen blockierend.

Wegen der Machtinhaberschaft ist das Verhalten von vielen Lehrern weit hinter den selbstreflexiven Interak- tions- und Kommunikationspraktiken zurückgeblieben, die im sozialpädagogischen und psychotherapeut- ischen Bereich im Anschluss an die Konzepte der Humanistischen Psychologie von Abraham Maslow, Erich Fromm und Ruth Cohen entwickelt wurden und dort inzwischen zum A und O des in Therapieszenen erwor- benen und in liberalen Familienmilieus und kooperativen Gesellungen gepflegten menschlichen Umgangs gehören. Indem die Machtvermitteltheit von vornherein die Distanz als das Übergreifende ins Lehrerverhalten einschreibt, kann die Fähigkeit zur Empathie chronisch unterbelichtet bleiben und alles kann auf den Schüler oder dessen Familie abgeschoben werden. Schiefe Ebenen der Wahrnehmung können eingerichtet und das Rauf- und Runterschauen kann gepflegt werden. Der Unterrichtsbeamte ist nicht gezwungen, mit dem Schü- ler mitzugehen und sich ihm oder den Eltern als Person zu stellen bzw. diese als Person anzusprechen. Dabei steht die traditionale Lehrerrolle in einem unterschwelligen Dauerkonflikt mit den das Individuum als Person ansprechenden, dessen selbständiges Denken herausfordernden Lernkonzepten. Stoffvorsetzen kommt mit geringem Kontakt oder gar auch der völligen Kontaktunfähigkeit eines Lehrers aus und hält die vorurteilsbeladene Rede gegenüber einzelnen Schülern.

Wenn traditionales Lehrerverhalten vorherrscht, das die Schüler meist moralisierend am Bändel führt, werden nicht nur ineffektive Lernformen gepflegt und bewahrt. Vor allem werden Schüler nicht in die innere Selbst- ständigkeit zur motivierten Erledigung von Aufgaben und zur Entwicklung einer Anstrengungsbereitschaft geführt. Dies ist etwas völlig anderes als wenn äußerer Zwang in Selbstzwang umgesetzt wird. Dieser Veräußerlichung des Inneren folgt der hochgesetzten Leistungsnorm im Gymnasium. Werden aber Schüler nicht an den Punkt ihrer Selbstentwicklung herangeführt, aus dem die innere Selbstmotivation herauswächst – dieses Interesse bedient die anthropologische Schulkonzeption mit ihrer Zensurzenfreiheit – wird dem Schüler auch systematisch die Lust am Denken abgewöhnt. Das Denken wird in diesem Fall auf ein beflis- senes Einüben von logischen Operationen reduziert bleiben, das dem angepassten Verhalten untergeordnet ist. Statt Freude in der Anstrengung des Lernens zu gewinnen, die wie alles Erfülltsein davon lebt, dass die sinnlich-sozialen Integrationen in der Tätigkeit ausgeschöpft werden, gerinnt das Lernen zur Mühsal. Es muss diszipliniert einer Pflicht nachgekommen werden. Die Absichten des Ichs erhalten in der Sinnlichkeit des Leibes keinen Rückhalt und dessen Wille unterdrückt vielmehr die ihm widersprechenden Bedürfnis- appelle. Der Leib wird beherrscht und nicht geführt.

Im traditionalen Lehrerverhalten werden besonders in der pubertären Übergangszeit, also gerade dann, wenn die individuelle Selbstständigkeit auch gegenüber der familiären Seele gewonnen wird und damit das eigenständige Denken zum Ansporn des Lernens werden kann, Autoritätskonflikte in Disziplinkonflikte ummünzt. Vor allem jene meist älteren Haupt- und Realschullehrer erweisen wenig Sinn für die Anmut, welche das pubertäre Ausprobieren ausstrahlt, wenn sie sich der Schüler gerade in dieser Entwicklungs- periode bemächtigen. Besonders bei den Lehrern, die ein Unterordnen im Gemeinschaftsverhalten abfordern und das Ressentiment durch Moralisieren pflegen, ist ein unklares Verhalten gegenüber den Schülern, ein ungerechtes Behandeln der Schülern und ein Verschieben von Konflikten auf andere festzustellen. Dem mühsamen, aber heute unabdingbar nachzugehenden Geschäft, Ambivalenzbalancen der Gefühle innnerhalb einer Lernatmosphäre aufzubauen und zu pflegen, um überhaupt Raum für die individuelle Entfaltung geben zu können, entzieht sich das traditionale Lehrerverhalten völlig.

Und nicht zuletzt: Dem traditionalen Lehrerverhalten mit seinem selbstaktivierten Autoritätskonflikt ist der schleichende Aufbau eines Sündenbocks inhärent. Unklares Verhalten gegenüber den Schülern sowie das zeigen von Sympathien und Antipathien sind das Schmiermittell hierfür. Oft sind es die sensibleren Schüler, auf denen dann alle ihre Belastungen abladen bzw. ihre Konflikte verschieben können, um sich nicht selbst in der Selbständigkeit stellen zu müssen. Gegen das schleichend stattfindende Aufdrücken der Sündenbock- rolle kann sich der einzelne, der durchs negativen Interaktionen in diese hineinruscht, nicht nur schlecht wehren. Jede Schurigelei von Seiten des Lehrers treibt die Isolation des anvisierten Schülers voran und bildet einen Baustein für dessen schleichende Ausgrenzung. Er wird von nacheifernden Mitschülern gedemütigt und zurückgesetzt. Indem ihm schrittweise die Hintergrundsicherheit für ein gelingendes Handeln und die selbstgewisse Positionierungskraft im sensorischen Bewegungsraum genommen wird, ist er für eine gescheiterte Schulkarriere prädestiniert.

Da die institutionelle Verfügungsmasse des verbeamteten Lehrers gegenüber den Schülern und Eltern über- mäßig ist, sieht er sich auch nicht im Lehrprozess zur Begegnung aufgefordert. Weit ist man in Deutschland davon entfernt, die auch innerhalb der einzelnen Schularten möglichen individuellen Lernmöglichkeiten und Begabungen zu kultivieren, die ein Mitgehen des Lehrers verlangen und die Begegnung ermöglichen, solange nicht mit höchster Achtsamkeit auf die Freisetzung der Selbstständigkeit des einzelnen Schülers und die Entwicklung eines offenen Kommunikationsklima hingearbeitet wird. Und wie gar müsste sich die Atmosphä- re in den bundsrepublikanischen Schulen wandeln, wenn etwa wie in Schweden die Hälfte der Lernaktivitäten des einzelnen Schülers individuell mit dem Lehrer ausgehandelt würde. Erst in einem solche Mitgehen, wird sich der Schüler der individuellen Möglichkeiten und Begabungen gewahr und erwirbt in ihrer Ausfüllung Selbstbewusstsein und der Lehrer wäre durch den Begegnungscharakter erfüllt. Während in Schweden etwa ein Schüler mit besonderen Begabungen auffällt und dementsprechend durch Universitätsangehörige gefördert und gefordert wird, kann es einem Schüler, der nebenbei beste Gedichte und Prosatexte produziert, durchaus passieren, dass er in Deutsch mit mangelhaft bewertet wird.

Die allgemein gesetzten und nur in einer besonderen Situation realisierten schulischen Leistungsnormen ha- ben nur wenig mit den individuellen Begabungen zu tun und oftmals werden sie unbewusst ohne reflexive Gewissheit um die individuellen Lernmechanismen erbracht. Das Abverlangen von Leistungen, deren Erbrin- gen nicht erfüllt und die Motive von Handlungen, die aus keinem Inne-sein hervorgehen, ist geradezu für ein Distanzverhalten der Unterwürfigkeit prädestiniert. Nicht nur in Grund- und Hauptschulen werden Schüler herabgesetzt, gedemütigt und gegängelt, gar ausgegrenzt sowie Eltern von oben herab behandelt. Vielfach herrscht auch in Gymnasien, in denen der Leistungsdruck forciert wird, kein ein jeden Einzelnen wertschät- zendes Klima vor. Die Missachtung von Schülern und Eltern entspricht vielfach einer Respektlosigkeit gegen- über den eigenen Kollegen. Eklatant ist die Kooperationsunfähigkeit unterhalb der Lehrerschaft. Gegenseitig gleichgültige Haltungen in Lehrerkollegien, die geschehen lassen und keinen Widerspruch wagen, treiben sowohl ambitionierte als auch engagierte Lehrer in die Resignation und rauben allen Kraft.

Uns soll zum Problem werden, weshalb das heutige Schulsystem systematisch entwicklungshemmend für die Persönlichkeitsentfaltung aller, auch der Lehrer ist. Die Krise des Schulsystems ist auch eine Krise des traditionalen Verhaltens des männlichen Lehrers, dem auch animusbesessene Frauen, allerdings nun in plumper Weise folgen. Der männlichen Schlaumeierei steht jedoch inzwischen ein weiblicher Ideenpool gegenüber, dessen humanistisch-psychologische Verankerung in der leiblichen Wertung sich der Feminismus erst noch bewusst werden muss, aber längst in das Lehrerverhalten selbstbewusster Frauen eingedrungen ist, die sich ihrer Anima und damit auch ihrer Gegengeschlechtlichkeit in ihrer Weiblichkeit selbst gewiss sind. Äußerlich gegenüber den inneren Haltungen und den damit gefügten Lernhaltungen der Beteiligten - so unsere Grund- these - sind die sozialen Organisationsformen von Schulen nicht. Macht ist für die Lehrer und Lehrerinnen keineswegs nur komod. Bis ins zellbiologisches Milieu hinein werden sie von ihr durch den seelisch-geisti- gen Informationsaustausch nach dem Resonanzprinzip konsumiert.

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Für den Atemlehrer existiert bei der Betrachtung des Schulsystems außerdem ein wegen 1933-45 verschüt- teter Traditionsbezug, der wenig bekannt ist und deshalb das bislang Gesagte in einem ungewohnten Licht erscheinen lassen kann. Er ist aber auch gerade deshalb verdrängt, weil in diesem wiederum die geschichtlichen Konflikte des vergangenen Jahrhunderts zwischen einen sozial unempfindlichen Konservativismus sowie den Gleichheitsidealen der Arbeiterbewegung eingeschrieben sind. Alle entscheidenden Reformpädagogen im ersten Drittel des zwan- zigsten Jahrhunderts waren eng mit Atemlehrerinnen befreundet und ihren Konzepten verdankte sich von vornherein einer weiblichen Inspiration, die aber von diesen fast ausnahmslos nicht in ihren Büchern offen- gelegt worden ist. Man kannte sich aus der Jugendbewegung, suchte die Natur, entdeckte den Leib und erzählte sich alles rückhaltlos und entdeckte das originäre Gemeinschaftsgefühl, das auch eine andere Qualität in den zwischenmenschlichen Beziehungen, nicht zuletzt im Lehrer-Schüler-Verhältnis stiften sollte. 

Damals um die Wende zum 20. Jahrhundert wurden nicht nur die wertenden Bedürfnisappelle des Leibes, sondern auch in allseitiger Weise die Bedürfnisse des Kindes entdeckt. Die auch durch die Arbeiterbewe- gung politisierten Vitalbedürfnisse sollten schließlich vor allem durch die kulturkritische Hatung der freud- schen Psychoanalyse, aber auch die zivilisationskritische der jungschen Analytischen Psychologie sowie die gesellschaftskritische der adlerschen Individualpsychologie ihr öffentliches Thema finden. Erst später - seit den siebziger Jahren im Anschluss an die Ideen der Schüler- und Studentenrevolte in den Jahren 66-68 - rückten auch die anthroposophischen und leibpädagogischen Traditionen ins Blickfeld, die in der Weimarer Zeit konsolidiert wurden und in den ideellen Aneignungsbewegungen der nachachtuntsechziger Zeit zunächst nur durch die Brille der psychoanalytisch verstandenen Körperpsychotherapie betrachtet und meist ideologie- kritisch abgefertigt worden waren.

Doch seither ist die Saat, die besonders in der Weimarer Zwischenkriegszeit in der Atemarbeit gelegt wor- den ist, aufgegangen. Wie der Leib wertet, wie die Hand den anderen Menschen so berühren kann, dass sein Atem aufblüht und wie die Erfahrung früher und anhaltender Feindseligkeit auf das leibliche Verhalten durchschlägt und dessen Sinne eintrübt, ist nicht mehr nur eine intuitive Erfahrung der frühen Atempioniere, die durch die Funken der bürgerlichen Jugendbewegung vor und nach dem Ersten Weltkrieg für ihr Atem- leben das Feuer gefangen hatten. Die Atemmethoden sind im vergangenen Jahrhundert gründlich erprobt worden und konnten als Atemschulen konsolidiert werden. In jahrzehntelanger Intensität bei der Arbeit vieler konnte ein Traditionsschatz von leiblichen Atemerkundungen angesammelt werden, der unabweisbar auf geschichtlich höhere Möglichkeiten des menschlichen Zusammenlebens hinweist. Ein bewegender Lehrfilm aus dem Grundkurs bei Volkmar Glaser - er hatte mit seinem Kommunikatives Bewegen besonders in der ehemaligen DDR und der sozialistischen Tschechoslowakei Anhänger gefunden - kann uns auf das heilen- de Lebenselixier des leiblichen Kontaktes in einem sensorischen Bewegungsraum bzw. durch die Kohärenz der sensorischen Verschränkung der Leiber aufmerksam machen.

Berichten wir von dieser außerordentlich bewegenden Filmdokumentation, die Ende der achtziger Jahre abge- schlossen wurde: Zu einem von den Ärzten als lebensunfähig angesehenen Kind, das keine Regungen zeig- te, gesellte sich eine Atemtherapeutin und bot diesem zunächst ihren Gefühlsraum an, indem sie zu ihm mit ihrem Leib hinspürte. Glaser sprich vom "Transsensus" in Anlehnung an das "Über-sich-hinaus-sein" von Ludwig Binswanger. Wir können auch von einer sensorischen Existenz im Raum sprechen. Indem die Atemlehrerin ihr sensorischen Kleid über das Kind war, entstand ein diesem Geborgenheit vermittelndes Dabeisein, das zu einem Mitsein werden sollte. Man hat damit inzwischen bei Komapatienten - vielleicht auch deshalb, weil bei Volkmar Glaser weitergebildete Physiotherapeuten und Ärzte ihre Möglichkeiten in die offiziösen Gesundheitsinstitutionen einbrachten - gute Erfahrungen gemacht. Tage darauf bewegte die Frau ihre Hände zu dem Neugeborenen hin, ohne es zunächst anzufassen. Bei beibehaltener sensorischer Raumbildung, in welcher der Säugling geborgen war, begann sie mit deren vital-pathischen Strahlkraft die Sphäre zu füllen und durch diese wortlosen Bewegungen das Kind anzusprechen. Nachdem das Kind mit einer ersten Regung geant- wortet hatte, es sich nämlich zu einem Blick hatte bewegen lassen, war der Bann gebrochen. Das Kind war als Person aufgerufen und ins soziale Leben hineingenommen: Es hatte eine heilende Begegnung innerhalb der sensorisch verschränkten Leiber stattgefunden. 

In den nächsten Wochen konnte ein gegenseitges Anmuten zwi- schen Kind und Atemtheapeutin entwickeln, durch den Bindung entstand, die es schließlich gestattete, das Kind direkt anzufassen. Durch das Behandeln konsolidierte sich das Erwachen des Kindes und es begann, sich mit eigenen zuwendenden Mimiken und Gesten zu regen, ja auch das erstes Lächeln als Zeichen des Erkennens zeigte sich im Gesicht.

Vor allem wird schließlich das Laufenlernen dokumentiert, das bis hin ins fortgeschrittene Alter von 10 Jah- ren begeitet wurde, was nötig war, weil das Kind unter einer schweren Spastik litt. Auch für deren Überwin- dung Aufbau eines Transsensus durch die Atemtherapeutin entscheidend, wodurch eine gemeinsame Sphä- re entstand, innerhalb der das Gehen durch ein gemeinsames Verbindungsgefühl getragen werden konnte. Die Atemtherapeutin trat nunmehr sensorisch eingeschmiegt in den Schritt des Kindes, um durch ihr trans- sensisches Verhalten dessen Eigenbewegungen zu stützen. Die Atemlehrerin befahl nicht und ordnete nicht an. Sie ging auch nicht voraus. Sie ging punktgenau mit ihm. In den gelungesten Momenten dieses kommu- nikativen Bewegens war überhaupt nicht mehr erkennbar, dass dieses Kind schwer behindert war!

Nichts anderes als ein vital-pathisches Hineingestimmtsein in das Befinden des anderen und das Schaffen eines gemeinsamen Befindens durch das Mitgehen in einer gemeinsam bewohnten Sphäre, könnte auch die Basis einer herrschaftsfreien Pädagogik sein, die sich nicht mehr der alten, sowieso totgelaufenen Ideologie- kritik verpflichtet sein muss, sondern in einer leiblichen Atempraktik verankert ist. Indem das Ideal einer herr- schaftsfreien Pädagogik das psychoanalytisch eingeschliffene Verständnis vom Seelischen hinter sich lässt und vielmehr das Psychische als Vermittlung zwischen sensorisch-sinnlichem Raum und den kulturgebun- denen Leistungen des Ichs und damit zwischen den Menschen liegend begreift, kann sie von der atemthera- peutischen Inspiration um die nachhaltige Wirkung der zwischenmenschlichen Begegnung im Heilen und der Bildung lernen. Durch Begegnung werden individuelle Kräfte frei, die eigene Ausdruck wächst zu und die schöpferischen Potenzen werden sichtbar. Vom sensorischen Grund des Lebens her werden die Entwick- lungsmöglichkeiten auch selbst für jene hochintelligenten Erwachsenen deutlich, die in ihrem innersten Wesen kindlich geblieben sind und eigentlich nur den nervösen Aktivitätsmustern ihrer Kindheit folgen, die eigenen Versagungen durch Kontaktdefizite mit den Eltern entsprungen sind.

Sieht man diese mit der Atemarbeit gegebenen Potentialitäten erscheint es in der geschichtlichen Betrachtung nicht mehr als bloßer Zufall, dass derjenige, der in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts die auf eine Gesamtschule angelegten Reformpro- zesse im Bildungssystem vorbereitet hat, ein Atementhusiast gewesen ist: Hellmuth Becker, der Direktor des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung Berlin. Becker hat als ehemaliger Odenwaldschüler die Mög- lichkeit einer die individuelle Entwicklung fördernde Lernatmosphäre erlebt, welche unabdingbar notwendig ist, um die Schüler auf die bereits damals sichtbaren Anforderungen der nachindustriellen Zukunft vorzube- reiten. Letztere hat inzwischen begonnen, ihr Gesicht und damit die perspektivischen Anforderungsprofile für eine kooperative Selbstbetätigung zu zeigen.

Der in den sechziger Jahren von konservativen jugendbewegten Kräften und dem mit der Sozialdemokratie sympathisierenden liberalen Bildungsbürgertum geflochtene Konsens zur umfassenden Bildungsreform wur- de von CDU-Seite (Hessen war mit den CDU-unterwanderten Elternvereinen "vorn") aufgekündigt, die für ihre karriereorientierte Kleinbürgerlichkeit auf die sozial ausschließenden Schutzmilieus des Gymnasiums nicht verzichten wollte. Die Ge- samtschulidee wurde daraufhin von der SPD - deren Mitglieder oftmals Stolz darauf waren, dass ihre Kinder etwas Besseres geworden sind, weil sie in der ersten Generation das Gymnasium absolvierten  - nur halb- herzig vertreten und vor allem in ihrem egalitären Grundanliegen entkernt. Während seit den siebziger Jahren viele Länder, aber vor allem die skandinavischen Länder in der inneren Bildungsreform voranschritten, zer- fielen in Deutschland die geplanten Reformen. Was durch die Administrationen geplant war, kam durch die Stundentenbewegung, die seit ihren früheren Anfängen immer auch eine Bildungsbewegung gewesen war, während der siebziger Jahre endgültig in den politischen Widerstreit. Doch nachdem die Bildungsreformen durch die Studentenbewegung einen radikalen politischen Träger gefunden hatten, wurde dessen Stoßkraft durch Berufsverbote blockiert.

Übrig blieben einige reformpädagogische Modellversuche. In den Universitäten und der Lehrerausbildung entwickelten sich am Bestehenden kritisch abarbeitende Pädagogiken und Didaktiken. Sie hatten schon längst das traditionelle Lehrerverhalten geistig unterminiert, das sich durch die konservierten Zustände bewährt sieht. Doch die Diskussion um PISA hielt nunmehr für den, der 1968 bewusst miterlebte und sowohl an den diesem Datum vorhergehenden als auch nachfolgenden Diskussionen teilhatte, eine Überraschung bereit, von der wir nun wegen der geborgenen geschichtlichen Sprengkraft erahnen können, weshalb sie in der öffentlichen Diskussion völlig tabuisiert worden ist. In der Zwischenzeit war im europäischen Norden die ehemalige Utopie eines zensurenfreien Lernens der Kinder in gesamtgesellschaftlich konsolidierten Schul- systemen verwirklicht worden. Das Lernen ohne selektierende Notenausteilung war hierzulande in den Freien Schulen und in der Waldorfpädagogik der Anthroposophen praktiziert sowie in den beiden bekannten neueren staatlich initiierten Reformprojekten, der Bielefelder Laborschule (Hartmut Hentig) und der Glocksee-Schule bei Hannover (Oskar Negt), erprobt worden.

Das zensurenfreie Lernen war 1968 in Anschluss an Alexander S. Neills Summerhill und dessen Garten- stadtexperiment in Dresden Hellerau erstmals in die populäre Diskussion gekommen, aber von der Allge- meinheit der Lehrer und vor allem auch von denen, die es erst werden wollten, auch nach 1968  abgewehrt worden. Man konnte es sich auch in den siebziger Jahren nicht anders vorstellen zu lernen, als wie man es selbst gewohnt war. In den kleineren skandinavischen Ländern suchte und folgte man der Perspektive einer Zensuren- und damit auch selektionsfreien Schulkultur. In nichts anderem ist die Lösung der Fragen um die Bildung zu suchen, nicht nur weil sie einer völlig anderen, nämlich herrschaftsfreien Logik des menschlichen Umgangs und der sozialen Teilhabe folgt, sondern auch erwiesener Maßen zumindest leistungsfähig, wenn nicht gar überlegener ist und über- haupt nichr nur zu einem entspannteren Sozialklima beiträgt.

Wenn man keineswegs zuletzt nach der Möglichkeit objektiver Bewertung durch Notengebung fragt, die gegenüber den konkreten und naturwüchsigen Lernbedingungen abstrakt bleiben, so ergibt sich das ab- schließende Urteil, dass wegen der subjektiven Lehrer-Schüler-Beziehung es nicht den geringsten Beweis dafür gibt, dass dieses traditierte Vorgehen mittels Zensur den Anforderungen eines objektiven Urteils über- haupt gerecht werden kann: Das Gegenteil allerdings, nämlich das reinste Willkür- und Zufallsregiment der Notenerteilung wurde immer wieder aufs Neue bewiesen. So wieder in einer 1999 abgeschlossenen Studie. Über tausend Lehrer nahmen an dieser deutschlandweit angelegten Untersuchung teil. Ein und dieselbe - für diesen Zweck präparierte - Deutschaufsatz wurde mit den Noten 1 - 5 bewertet. Und der ebenfalls identi- schen und mit den Bewertungsklippen vorgestopften Mathematikarbeit, deren Zensur noch immer den Schle- ier der Objektivität mit sich führt, erging es nicht anders. Die Lehrer waren mit den sozialen Daten der Schüler gefüttert, so dass all ihre Vorurteile produzierenden Einstellungen virulent werden konnten.

Selbstverständlich sind in gesellschaftlichen Institutionen die horizontalen Sozialbeziehungen immer von vertikalen durchzogen. Nur wird dies in einem der Bildung und dem Lernen verpflichteten Sozialbereich, der auf Kommunikation angelegt ist, zunehmend unersprießlich. Eine differenzierte Förderung von individuellen Begabungen innerhalb eines hohen Allgemeinlevels kann mit der Notengebung gerade nicht erreicht werden, weil es gerade auf jene innere Bildungskräfte von Motivationen zerstörend wirkt, die das Selbstständigsein, die Entfaltung eines familienunabhängigen Sprechens und Denkens und damit auch das selbstbewusste Freiwerden von individuellen Talenten tragen. Die einfältig gewordene Herrschaftsanthropologie der Konser- vativen kennt deshalb folgerichtig nur jene Begabtenförderung, die auf eine Elitenselektion hinausläuft, der man das Ambiente von Schlössern zur Verfügung stellt.

Überhaupt bedeutet der Zensurenverzicht in der Bildung eine Öffnung zu einem mehr-logiken Gesellschafts- verhalten, das quasi transklassischer Art ist, weil unser Ich in der Schule nicht mehr in die zugespitzte Si- tuation getrieben ist, dass seine vom Lehrer anerkannte Subjektivität nur existiert, wenn es sich zur pflichtge- mäßen Leistung entscheidet und alles andere nur als ein Versagen angesehen wird. Zensurenfreiheit wäre ein Einüben in Lernsituationen, die nicht mehr von der üblichen Zweiwertigkeit des Ja und des Neins ausgeht. Die historischen Oppositionen von Subjekt- Objekt, die als Aneignungsbeziehung wie ein Riss durch die gesamte, nicht nur die schulische Existenz gehen, würden partiell aufgehoben, wenn der Lehrer mit dem Schüler geht und das dialogische Prinzip des Denkens, was etwas anderes als Einüben von Operationen ist, realisiert..

Wenn aber das Verhalten des Schülers und des Lehrers wegen des Notenverzichts nicht mehr einem entweder oder folgen muss und alles nur zweideutig, zwiespältig ist, so findet eine kulturelle Grenzöffnung statt, vor welcher die institutionenentheroretisch interessierten Konservativen (Arnold Gehlen, Hellmuth Schelsky) schon immer warnten. Die kreative Rolle des Subjekts, auf welcher die Linke insistierte und die deshalb die freiheitsunterdrückende Rolle, die Institutionen spielen, kritisierte, fällt bei der konservativen Bildungsbürgerlichkeit nicht ins Gewicht, für welche die positiv entlastende Rolle der Institutionen ausschlag- gebend ist. Nur hat inzwischen die Globalisierung all diese Belastungen kompensierenden Rückbindungen des Ichs an die Aneignung von Tradition und Herkunft sowie kollektive Erfahrungen und Gemeinsinn längst zerschlissen. Die Bedürfnisfrage ist nicht durch institutionelle Leitideen still zu stellen und längst wieder als politisiertes Vitalbedürfnis gestellt.

Anthropologische Fragen können inzwischen auf der Basis der das vergangene Jahrhundert erschlossenen westlichen Atemarbeit beantwortet werden.. Längst ist das in sozialen Opportunitäten befangene Ich mit den leiblichen Prozessen, von denen es durch die historischen Institutionenbindung entlastet war, konfrontiert, deren Zerbrechlichkeit sich auch in der Atemarbeit gewahr wird und die deshalb auch hautnah mit der Riskanz des Lebens vertraut ist. Der anthropologischen Optimusmus der historischen Linken kann deshalb einerseits nicht bestätitgt werden, weil uns auch die Atemarbeit des Westens darauf aufmerksam macht, das mit der menschlichen Natur durch keine besser Gesellschaft aufhebbare Fundamentalkonflikte exis- tieren. Andererseits verweist uns die Gestalthaftigkeit der Atembewegung darauf, wie die Gesellschaft in der menschlichen Natur selbst wirksam ist, und wie in der menschlichen Natur Unterscheidung und Verbindung im soziales Verhalten angelegt sind und weder das eine zugunsten des anderen reduziert werden darf, aber im kommunikativen Akt die Unterscheidung in dessen übergreifenden Verbindung enthalten ist.

Erst auf der Basis der leiblichen Selbstreflexion wird die Schädigung des Einzelnen der Machtvermitteltheit des Lernens und auch der Unsinn einer objektiven Bewertungsmöglichkeit von Leistungen sichtbar. Die Note dokumentiert letzten Endes die Qualität eines Verhaltens, bei dem sich ein der institutionellen Macht unter- worfener Schüler und ein institutionelle Macht ausübender Lehrer aufeinander beziehen. Wenn sich Schüler mit einer inneren Selbständigkeit der Unterwerfung entziehen, kann es bereits für den irritierten Lehrer zum konservativen Thema einer negativen Verhaltensbewertung werden, wenn ein Schüler die normale Ordnung in Frage stellt, weil er sich nicht in seinen Lernbedürfnissen ernst genommen fühlt. Wird die Frage einer grund- sätzlich anderen, nämlich auf Zensuren verzichtenden Lernkultur auf die Tagesordnung der öffentlichen De- batten gesetzt, ist allerdings auf eine kulturelle Grenzöffnung abgezielt, welche die Gesamtgesellschaft in allen anderen Lebensbereichen längst vollzogen und damit gezeigt hat, dass es auch anders geht.

So haben dann Schüler mit Emigrantenhintergrund in einem sechswöchigen Lerncamp bei Bremen bei großer Gemeinschaftlichkeit, Musik machen und Musik genießen, und integrierten Freizeitangeboten bei nur täglich zweistündigem Unterricht Lernfortschritte in Deutsch erzielt, die dem - wie die empirischen Bildungsforscher nachgewiesen hatten, die auch die Pisa-Studien betreuten - von einem bis eineinhalb Schuljahren entspricht. In der normalen Schule aber wird ihnen weder so offen entgegengetreten noch werden sie in ihren Jugendbedürfnissen ernstgenommen. Und die Herabsetzungen, die einzelne durch Lehrer erleiden, treffen auch die anderen.

Noch immer redet die Linke selbstgefällig und damit harmlos im Stil der siebziger Jahre über die Schule, als es für Teile der 68-er Generation ambitionierter Ansporn zum Engagement war, Arbeiterkinder zu fördern und zum Abitur zu verhelfen. In den sechziger Jahren erntete noch derjenige ein schallendes Gelächter seiner Klassenkameraden, wenn er schamhaft offenbarte, dass seine Mutter als Putzfrau arbeite. Und mancher Arbeiterjunge musste seine Klassenarbeiten allein sitzend am Lehrerpult schreiben, weil sich der Gymnasiallehrer in seinem Dünkel gar nicht vorstellen konnte, dass auch in der historischen Arbeiterkultur Intelligenzen gepaart mit emotionalen Sicherheiten herausgebildet worden waren, die erstaunliche Überlegenheit zu dokumentieren vermochten. Allerdings bedanken sich nur wenige von denen, die etwas geworden sind, mit einem Engagement für die heutigen Unterschichten.

Denen schlägt inzwischen blanker Hass entgegen, der bereits das  Schmiermittel für den Erlass der Harz IV-Gesetze gewesen war und der nun als historischer Tiefpunkt das Angekommensein der sozialdemokra- tische Idee durch den Vorsitzenden der Sozialdemokratie, den Ministerpräsidenten Beck von Rheinland-Pfalz noch kurz vor Weihnachten 2007 dokumentierte, als er einem betrunkenen Arbeitslosen geraten hatte, sich zu waschen, die Haare schneiden zu lassen (seine Frau arbeitet noch zwei halbeTage als Friseuse) und ordentlich anzuziehen. Der allgegenwärtige Hass instrumentalisiert vor allem die Angst derer, die vielleicht selbst zu jenen gehören könnten, die absteigen. Er kennt keine barmherzige Rücksicht gegenüber denen, deren Leben scheiterte. Und er wird seit Jahrzehnten gegenüber den Immigranten, auch immer durch beteiligte Lehrer, gepflegt. Die hilflosen Gesichter der Lehrer aus der Berliner Rütli-Gesamtschule, die 2006 durch ihren veröffentlichten Hilferuf Fuore machten, strahlten auch aus, dass in den Großstädten das nicht mehr gelingt, was auf dem Dorf noch gang und gäbe ist, ohne dass Widerspruch von Seiten der Kollegen eingelegt wird. Die Schikane, Ausgrenzung und Herabsetzung von Immigrantenkinder durch ausländer- feindliche, aber auch einfach nur ungehobelte oder unachtsame Lehrer.

Gerade da in unseren leibtherapeutisch orientierten Analysen nicht nur das individuelle, sondern auch das soziale Unbewusste ins Blickfeld gerückt wird, das als Resonanzphänomen zwischen den Menschen die Einstellungen, Gefühle und Affekte der Beteiligten im herrschenden Sozialsystem Schule bildet, ergibt sich eine anderes gewichtete Kritik, die auf das Zentrum der Selbstverständnisse der herrschenden Kulturinstitu- tionen zielt und vehement dagegen spricht, die Fragen der Bildung als eine abzusondernde Sozialfrage zu erörtern. Das gegenwärtige Schulsystem behindert die Entfaltung der individuellen Potentiale selbst bei de- nen, die meinen, zu den Besseren und Besten zu gehören. Narzistische Erkrankungen und die Gefühlslosig- keit gegenüber der eigenen Leiblichkeit sind vor allem bei weiblichen Studentinnen verbreitet. Die Ärztinnen im Alter zwischen 40-55 Jahren - fast ausschließlich Einserabiturientinnen - sind die mit weitem Abstand  größte Gruppe unter den Frauen, die durch Selbsttötung aus dem Leben scheiden. Und nicht zuletzt fordert das Schulsystem die Leibtheorie auf, das Verhältnis von Gesellschaft und Sexualität zu thematisieren: Neun von zehn Studentinnen sind unfähig zum Erleben eines Orgasmus im Geschlechtsverkehr mit einem Mann. Und erstaunlich viele männliche Lehrer gehören zu den Spätberührten durch das andere Geschlecht.

Nachdem nicht nur die Bildungspotenzen des Arbeiterkindes im Rahmen einer reiferen Industriekultur konsu- miert, sondern auch vor allem die Aufstiegsmöglichkeiten der Angestelltenschichten vervielfältigt worden sind, ist auch die soziale Basis des historischen Bildungshumanismus aufgehoben. Indem die Sozialstruk- turen durch vervielfältige Ausbildungschancen flüssig geworden sind, ist das Bildungssystem unter die ver- hängnisvolle Herrschaft einer sachrationalen Eindimensionalität geraten, welche die Selektionsschere durch die Notengebung hochleben lässt, wobei diese die Motivkräfte veräußernde Leistungsermittlung in der Dienerschaft der persönlichen Bindungen gestellt ist.

Gerade da Bildung nicht außerhalb der Sozialstrukturen stattfinden kann, gilt es nunmehr genauer die psy- chosozialen Mechanismen in den Blick zu nehmen, über die ein Schulsystem naturwüchsig soziale Selek- tionen vornimmt. Was sind die scheidenden Punkte, an denen sich die zu frühe und zu enge Bindung von sozialer Selektivität und schulischen Abschlüssen exekutiert und weshalb kann es wegen bildungsinterner Prozesse dazu kommen, dass durch die Notengebung die Rivalität zwischen Menschen die Lernprozesse in der Schule führt und die gegenseitige Ergänzung so verhängnisvoll verdrängt und ein traditionelles Lehrerver- halten konserviert wird?

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Für die an die Leibsymbolik zurückgebundene Fragestellung um die soziale Psyche des Schulsystems ist erstens ist die entwicklungspsychologische Erkenntnis des russischen Psychoanalytikers und Begründers der Kulturhistori- schen Schule in der frühen Sowjetunion, S. Wygotsky, entscheidend, die das Sprechen und Denken als an psychische Sozialkomplexe gebunden thematisiert hat. Wygotski hat Ende der zwanziger Jahre des vergan- genen Jahrhunderts durch empirische Forschung nachgewiesen, dass die Kognitionen der Kinder bis zum 12.-14. Lebensjahr durch den psychischen Familienkomplex mit seinen gesamten sinnlichen Gegebenheiten geformt sind, aus der sich erst das selbständige Denken mit seiner eigenständiger Sprachentwicklung her- ausarbeiten muss. Aus dieser Sichtweise erscheinen die Ergebnisse des individuellen Lernen von vornherein als eine soziale Faktizität.

Die sozialpychische Gebundenheit des Sprechens und Denkens läuft als hartes Datum der (Atmo)Sphären- bildung jenen am meisten entgegen, bei denen die psychische Kongruenz der Lebensstile zwischen den bei- den Erlebnisbereichen Elternhaus und Schule am größten ist. Bleiben die einen weiterhin in einem gesicher- ten Schutzmilieu eingehegt, sind die anderen durch die Schule mit einem fremden Kollektivambiente konfron- tiert, das für sie nur in dem Maße zur eigenen Heimat werden kann, wie sie in den abgeforderten Leistungen mitzuhalten vermögen. Allzu viele erleben Brüche, weil ihnen die heutigen Schulatmosphären nicht im geringsten entgegenkommen und sogar manche familiäre Erlebniswelte der Kinder entwerten. Das unge- schützte Kind erlebt ohnmächtig, dass es einer Norm nicht genügen kann. Zu vielen wird dadurch die kindliche Unbekümmertheit genommen und ein die Lernfreude eindämmender Schlag versetzt, nach dem sie die frühe Selektion miterlebt hatten..

Ein zweiter Scheitelpunkt der individuellen Entwicklung liegt in der bereits in den frühen Atemkreisen be- wusst gewordenen Erfahrung, dass der Integration der beiden in ihrer neuronalen Aktivität gegenseitig verschränkten Körper- und Hirnhälften ihre individuelle Zeit zu geben ist. Auch sie durchläuft eine familien- komplexe Entwicklung. Dabei wird zunächst entscheidend, dass bei den meisten Kindern zunächst die neuronale Aktivität der einen Hinhälfte dominiert und die andere in mehr oder weniger starken Durchdrin- gungsgraden mit sich nimmt. Der sensomotrischen Sinnesaktivität gesellen sich Gedächtnisleistungen bei, die mehr an das Sehen oder mehr an das Hören gebunden sind. Ausgereifte generalisierte Intelligenzen zeichnen sich darin aus, die Dominanzen entsprechend der situativen Gegebenheiten verschieben zu können.

Die reformpädagogischen Impulse, welche sich der frühen Leib- und Atempädagogik verdanken, entsprangen aus dem Umgang mit der Psychotonusregulation, dem Einlassen des atembewegten Leibs in die Schwer- kraft, dem Empfinden der Positionierung und Ausdehnung (Atemgestalten Positionierung und Hintergrund).  das dann in ein bewegtes, reagibles und impulsives Verhalten hineingenommen ist. Betroffen sind hierbei die Atemgestalten Zentrierung und Empathie (siehe hierzu die Rubrik Atembewegung/Atemgestalten) .Indem man als vortheoretisches Erfahrungsgebiet die gegenüber der Hirnzentrale selbständigen Atemregulationen beeinflussen lernte, wurde man auch auf die Natur des Lernens aufmerksam, denn man entdeckte, dass Bewusstsein ein motorisch-sensorisches, aktiv-rezeptives Verhalten des Leibes zur Umwelt ist, das wahr- nehmende, entscheidende und willentliche Ich in der Atembewegung widerhallt und in den situativ wechseln- den Atemgestalten entweder Widerspruch oder Rückhalt erhält. 

Besonders Elsa Gindler hat sich um dieser Problemkreis einen Namen durch ihre Zusammenarbeit mit dem Musikpädagogen Heinrich Jakoby gemacht. Ihre sensitive Ausrichtung der Bewegungsarbeit öffnete in den einfachsten Dingen und Verrichtungn Zugänge zu einem ganzen Tun, in dem ein Mensch sich deshalb selbst finden konnte, weil er seine andere Seite gegenüber der willentlichen Dominanz von Ich-Leistungen ent- deckte. Die Psychoanalytikerin Ruth Cohen, die Begründerin der "Themenzentrierten Interaktion", war bei ihr Atemschülerin gewesen und bedankt sich für die Inspirationen zu diesem ihrem Grundlagenwerk der Kom- munikationssoziologie. Nicht umsonst ist der Name Gindler in den Freien Schulen bekannt und geschätzt. Fragt man nach den Ursprüngen der Humanistischen Psychologie, so sind sie nicht allein bei Abraham Mas- low, Ruth Cohen und Errich Fromm allein zu entdecken. Erich Fromms Ehefau Gerda Reichenbach- Fromm war ebenso bei Elsa Gindler ausgebildete Atemlehrerin wie  übrigens auch Elsa Lindberg, die Lebensgefähr- tin des Kommunisten Wilhelm Reich, oder Clara Fenichel, deren Mann Otto als ärztlicher Psychoanalytiker und Sozialist ebenfalls zu den Begründernd der Körperpsychotherapie zählt.:

Inzwischen weis man durch die Forschungen des ärztlichen Atempioniers Volkmar Glaser  um die phasen- tonische Regulation des Muskeltonus, die - wie bereits verwiesen - im Sondermeridiansystem angelegt ist. In diesem durch das Muskelsystem gegebenen und durch die Atembewegung an der nervalen Peripherie modu- lierten Sinnenreich stützen sich über die arationalen Empfindungs- und Gefühlsfunktionen die Maße der Kog- nition und Intuition ab, Erleben und Neurologie haben in der Atembewegung die engste Zusammenkunft. Ärzte, die mit der Elektroakupunktur arbeiten, sind in ihrer durch das chinesische Meridiansystem ange- leiteten Diagnostik mit unterschiedlicher, also nicht integrierter Seitenspannung gerade in der gegenläufigen Verschränkung der Hälften von Gehirn und Körper konfrontiert und behandeln diese mit homöopathischen Medikamenten. Sie haben in ihrer durch therapeutische Erfahrung gesättigten Empirie herausgefunden, dass sich die komplexe Frage des Seitigkeitsvehaltens und damit der Präferierung der Hirndominanzen darin vor- entscheidet, wie das Kind im Mutterleib gelegen hat.

Die generalisierte Intelligenz wird in besonderer Weise von der empathischen Funktion bedient, die das Ich als bewusst-unbewusster Wahrnehmungs- und leiblicher Einstellungskomplex mit den Ereignissen der Außenwelt ins Spiel bringt. Die Atempioniere entdecken früh , dass die bereits im Zusammenhang mit dem Aufmerksamkeitserleben vorgestellte Empathie, einen leiblichen Grund hat, ja wesentlich von dieser geführt wird. Denn mittels der phasentonischen Regulation werden die bewussten Ich- kräfte abgestützt, indem im sensorischen Raumverhalten zwischen der Zentriertheit des Eigeninteresses und der Reagibilität auf das andere vermittelt wird. Empathie darf keineswegs als das gütig-vereinnahmende Verstehen des anderen, verstanden werden und schon gar nicht bezeugt die Rede "Ach der Arme" Mitgefühl. Beide Verhaltensweisen sind Distanzformen gegenüber dem anderen. Sie verfehlen den Kontakt, aus wel- chem die Verbindungskraft Empathie hervorgeht.

Doch auf was es nun vor allem ankommt ist, folgendes: Das Hirnsphärenproblem stellt sich über das Befin- den im sinnlich-sensorisch Raum als ein Motivationsthema dar. Denn die Seitigkeitsgewichtung der Hirn- aktivitäten korrespondiert mit Gewichtungen im sensorischen Verbindungs- und Unterscheidungsverhalten. Die historischen Schulsysteme reagierten darauf auch mit spezifischen Einpassungen des Denkens ins Verhalten. Die Linearität des linkshemisphärisch gestützten Denkens korrespondiert mit einer Unterschei- dungsfähigkeit im Detail, während sich das symbolische Ganzheitsdenken der rechten Hirnhälfte in sensorischen Verbindungsstrukturen abstützt. Das Lernen im Gymnasium war von vornherein auf Distanz angelegt unter dem auch die Kinder der Oberschicht litten, die primär rechtshemisphärisch aktiviert waren. In der heutigen Hauptschule bleiben vor allem die Rechtshemisphärer zurück. Spätentwickler sind wohl jene Rechts- hemisphärer, die in ihrer Entwicklung an den Punkt gestoßen sind, dass das selbstständige Denken auch des Akts ihrer eigenen Anstrengung bedarf.

Offensichtlich bedienen die Lernziele und -methoden der heutigen Schule meist das lineare Denken, wodurch die linkshemisphärisch Betonten bevorzugt werden. Es gibt zu diesem Problem sogar eine juristische Dissertation, die der Frage der Verfassungswidrigkeit staatlicher Regelungen von Bildungs- zielen und Unterrichtsinhalten vor dem Hintergrund neuerer Erkenntnisse der Gehirnforschung nachgeht. Gerhard Huhn hat sie geschrieben: "Kreativität und Schule. Risiken derzeitiger Lehrpläne für die freie Ent- faltung der Kinder". (Synchron Verlag Berlin, 1990). Uns soll deshalb zum Problem werden, dass sich die schulischen Leistungslenkungen vor allem mit den inneren Motivationsstrukturen der primär rechtshemisphä- risch Orientierten beißen..

Primär rechtshemisphärische, also ganzheitlich und im analogen Brückenschlag denkende Kinder haben es gegenüber den Lernangeboten zunächst deshalb schwer, weil sie im Detail ungenau sind und sie im Grunde ganzheitlicher Lernmethoden bedürfen. Vertauscher in der Reihenfolge der Buchstaben eines Wortes, Fehlen von Endungen oder inneren Wortteilen sind  Folge ihres nichtlinear angelegten Primats im Denken. Rechts- hemisphärer müssten eigentlich das Schreiben mit ganzen Wörtern lernen, weil sie das synthetische Zusammensetzen eines Wortes mit Hilfe von linear hintereinander abfolgender Buchstabenreihen überhaupt nicht in ihrer Leiblichkeit intus haben. Das Wort Hans etwa, ist für sie als Ganzheit leicht, aber als Abfolge einer Buchstabenreihe, nur schwierig handhabbar. Hinzu kann dabei noch eine starke Bindung des Denkens an die Bildlichkeit vorhanden sein. Das Gedächtnis stützt sich über das Sehen ab, während das Gehörte vielleicht gar ständig durchrauschen kann.

Bei Rechtshemisphärern ist zunächst ein langsameres Reproduzieren von einfachen Rechenergebnissen, das Übersehen von Zahlenstellen und besonders von Nullen festzustellen. Sie sind auch darin gehemmt, über die Zehnermenge im linearen Additionsschritt hinausschreiten zu können. 9 + 2 kann deshalb von den Rechtshemisphärern nicht auf Anhieb errechnet werden, weil das Kind die erstmals gelernten Zahlen als Teil- mengen innerhalb einer 10-ner Ganzheit denkt und für ihn der Übergang in die Zehnerreihe kein linearer Vorgang, sondern nur ein Sprung in eine andere Ganzheit darstellen kann.

Wenn die Rechtshemisphärer in den ersten Schuljahren oftmals ein- fach nur als dümmer und schwerfälliger oder auch als sogenannte Spätentwickler angesehen werden, dann ist das nicht nur dem Sachverhalt ge- schuldet, dass sie etwa langsamer rechnen und mehr Rechtschreibefehler abliefern. Setzt man sich neben einen rechtshemisphärischen Rechner, so hat man das Gefühl, dass ihm beim Erlernen des Einmaleins all die heutzutage üblichen Linearübungen am Zahlenstrang nicht nutzen und er diesen ebenso wenig als leib- liche Gerichtetheit intus hat. Es hat den Anschein, dass er anfangs immer wieder aufs Neue Wege für die Multiplikation sucht. Erst viel später stellt sich dann ein überragend schnelleres Rechnen ein.

Zunächst verdeckt die Präferieung linearer Denkleistungen die eigenen Stärken der Rechtshemisphärer im besonderen Aufgewecktsein, wegen dem sie oftmals zu erstaunlich komplexen Ordnungsvorstellungen in der Lage sind. Das Denken mit Ganzheiten gleicht nicht nur schneller ab, weshalb diese Kinder später als Jugend- liche und Erwachsene die Flexibleren, Intelligenteren und Kreativereren sein können. Das Ganzheitsdenken ermöglich ihnen bereits im Kindesalter überraschende Denkoperationen und eine umfangreiche Wissens- akkumulation.

Den Kindern mit betonter rechtshemisphärischer Hirnaktivität wird in der heutigen Schule etwas abverlangt, das sie so gar nicht oder nicht ohne besondere Hilfe liefern können. Der Leichtsinnsfehler ist für den Rechtshemisphärer bei der Bewältigung linearer Operationen geradezu vorprogrammiert. Das deshalb von vornherein schlechtere Weg- kommen bei der frühen Zensiererei drückt drück auf deren Seele. So kann es passieren, dass ein best erzogenes Mittelschichtkind, mit umfangreichem Wissen und erfreulicher Neugierde ausgestattet, in dem heutigen Schulsystem völlig auf Grundeis gelegt werden kann. Seine Selbstpositionierung in der Familie wird geschwächt, Druck wird ausgeübt und es wird schließlich zum schwarzen Schaf der Familie.

Die Übereinstimmung oder Differenz zwischen Primaten der Hirn- bzw. Körpertätigkeit und schulischer An- forderung wird zu einem eigenen Selektionsmodus des nicht individualisierten Lernens, dem wiederum schichtenspezifisch begegnet wird. Die einen können in den ersten Schuljahren pädagogisch hochgezogen werden, die anderen, denen die intensive Betreuung des meist mütterlichen Elternteils oder die persönliche Zusprache des Lehrers fehlt, haben von vornherein die schlechteren Karten. Statt Kompensation zu erhalten, erfahren nicht nur die Unterschichtskinder eine Deprimierung. Die selektionsrelevanten Leistungen der Grund- schule sind meist vom Elternhaus erbracht und werden in ihrer sozialen Naturwüchsigkeit von der Schule nur abgerufen.

Die Notengebung als gegenüber den konkreten Bedingungen des Schülers abstrakte Effektivitätsmessung zielt auf Distanz und Trennung und ist darin für die Linkshemisphärer in typischer Weise motivationsprä- gend. Amerikanische Untersuchungen, von denen der prominente Psychoanalytiker Arno Gruen berichtet, zeigen, wie durch die Notengebung die Egozentrierung des Verhaltens verstärkt und vereinseitigt wird: Denjenigen, denen die Noten wichtig sind und deren Fleiß und Anstrengung durch gute und sehr gute Noten belohnt wurde - auch dafür reicht und ist sogar eine mittelmäßige Intelligenz am besten geeignet - fühlen sich darin am wohlsten, wenn sie auf andere herabschauen und wenn sie andere herabsetzen können. Sie bedürfen eines dem hierarchisch geordneten Leistungsmilieu entsprechenden Sozialstoffs. Demgegenüber sind für diejenigen, denen das mitmenschliche Verbundensein mit dem anderen das Entscheidende ist -  und das sind Rechtshemisphärer -, die Noten weitaus weniger, ja manchmal völlig unwichtig.

Die Veräußerung der Motivationsstrukturen durch die Zensurerteilung hat Folgen: Vor allem die dominanten Rechtshemisphärer und die mit generalisierter Intelligenz ausgestatteten sind die Kreativen und außerdem stark auf Verbindung und Mitsein angelegt, also auch solche, die für pädagogische und therapeutische Beru- fe besonders geeignet sind. Doch gerade diesen droht im selektierenden Schulsystem die Herabsetzung. Der primär ganzheitlich Denkende fühlt sich von kooperativen Lernformen angesprochen und kommt vor der Aufgabe des familiären Komplexdenkens nicht mit jenem selbsttätigen Selbstzwang zurecht, wie ihn das Gymnasium voraussetzt und pflegt, den aber fast gar nicht die Hauptschule sowie weniger die Realschule als das Lernen motivierende Kraft nutzen können. Es braucht nicht mehr zu wundern, wenn das heutige Gymnasium überhaupt nicht mehr kreative Spitzenleistungen hervorbringt und kein Schulsystem besondere Begabungen zu kultivieren vermag. Was sich als Elite durch Bildungskarriere wähnt, erweist sich als schlichtes Mittelmaß, das es darauf anlegt, andere unten zu halten.

Indem Motivationstypen sozialgewichtig auf die verschiedenen Schularten verteilt werden, kommt es auch zu eklatanten Empathiebrüchen. Der linkshemisphärisch dominante Lehrer mit geringem Anschluss an die rech- te Hirnhälfte versteht überhaupt nicht, wie ein rechtshemisphärischer Schüler tickt. Und der seltene vordring- lich rechtshemisphärisch seine Welt verarbeitende Lehrer wird leicht zum Außenseiter innerhalb eines Kol- legiums. Er kann gar zum Sonderling werden, wenn er in seiner Innenwelt gar dermaßen verdreht ist, dass er die abstrakten Leistungsnormen rigider als jeder anderer hochhält. Was dieser einst im Übergang von der Kind- heit zur Jugendlichkeit unter welchem Druck auch immer mit sich selbst gemacht hat, verlangt er nun in perfektioniert-unbewusster Übernahme der traditionellen Lehrerrolle von seinen Schülern ab. Er wird zu demjenigen, der überhaupt nichts laufen lassen kann und alles kontrollieren muss. Doch die eigene Innenwelt ist bei dieser Seitenverkehrung auf Selbstzerstörung angelegt,

Durch Atemerfahrungen kann ein eigenes Selbstverständnis über die biografischen Lernbedingungen erarbei- tet werden, wenn die Selbstverdrehungen frei werden. Alle Entwicklung der kreativen Eigenkräfte laufen auf eine Integration der Seitigkeit hinaus, was bedeutet das die einseitigen Anspannungen und das Festgehaltene losgelassen wird.. So hat auch schon mancher Lehrer entdeckt, dass er eigentlich Links- händer ist und seine Krankheitsgeschichte in der ungleichgewichtigen Seitendynamik ihre wesentlichen Bedingun- gen hat.

Und noch einen dritten, erst in den letzten drei Jahrzehnten sich ausbildender Scheitelpunkt in der kindlichen Schulentwicklung sowie auch der Verzerrung des Lehrerverhaltens entdeckt der therapeutisch umsichtige und in Fragen einer alternativen Medizin kundige Atemlehrer. Verlangt die psychische Komplexentwicklung des Sprechens und Denkens Kompensation durch Förderung und kann die heutige Bevorzugung bzw. Be- nachteiligung der Kinder wegen ihrer Hirndominanzen nur durch eine Individualisierung des Lernens abgelöst werden, so verweist der letztere Scheitelpunkt auf außerschulische Entwicklungen, welche die heutigen Klagen um das Schulgeschehen in einem anderen Licht erscheinen lassen können.

"Ruinöse Zahnwerkstoffe",  und zwar Kunststoffe mit denen heutzutage die meisten Schüler und Lehrer ver- sorgt sind, sind in ihrer das Lernen sowie das Verhalten beeinträchtigende Bioinkompatibilität nicht zu über- schätzen. Sie treiben das Sozialverhalten ebenfalls in ego-orientierte Distanzformen und sich selbst aufge- bendes Gemeinschaftsverhalten auseinander, bremsen Entwicklungskonflikte im Individuum und hemmen die Integration der neuronalen Aktivität von rechter und linker Hirnhälfte sowie ihrer gegenseitigen Verschränkung mit der Sensomotorik.

Wer das Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom (ADS) diagnostiziert, sollte an Nebenwirkungen der modernen Medizin denken. Auch die Lese- und Rechtschreibschwäche (Legasthenie) und die Rechenschwäche (Diskalkulie) sind wohl wegen durch die Zahnarzttätigkeit und Impfschäden hervorgerufenen Entwicklungshemmungen zur Massenplage geworden. (siehe hierzu auch die Ausführungen zur Legasthenie). Es dürfte wohl den Seg- nungen der modernen Wissenschaften verdankt sein, dass wir seit den neunziger Jahren verstärkt mit diesen psychischen Komplexstörungen konfrontiert sind. Der hohe Medikalisierungsgrad von Schulkindern und Jugendlichen zur Ruhigstellung und Leistungssteigerung dürfte darin ihren Ausgang haben.

Der 2002 verstorbene Karlsruher Heilpraktiker Friedrich Ochsenreither hatte umfassende Erfahrungen mit diesem Problem der Lernbehinderung von Zahnwerkstoffen gemacht und musste feststellen, dass die das Lernen blockierende Kunststoffbelastung selbst dann noch anhält, nachdem die damit gefüllten Milchzähne verloren waren. Druck auf die Augen und Druck auf die Stirn  diagnostizierte er als durch dentale Kunststoff- belastung hervorgerufene Beschwerden, die er durch Ausleitungen mit Hilfe potenzierter Flechten und Moose im Rahmen seiner Diagnostischen Resonanz- therapie aufheben konnte. Vor liegt auch die Erfahrung eine Zahnsanierung mit mehreren Kindern, die als Sonderschüler eintaxiert waren und nach der Entfernung und Ausleitung der dentalen Kunststoffbelastung zur Gymnasialschülern wurden.

Offenbar verschärfen die Dentalbelastungen die Defizite des Schulsystems, das es versäumt hat, ihre Lern- methoden den unterschiedlichen Dominanzen und Mischungsverhältnissen der zweiseitigen Gehirnaktivität anzupassen. Der erste, in den sechziger Jahren gegebene Bericht über die Legasthenie stellte als Grund- bedingung für ihr Erscheinen die rechtshemisphärische Dominanz bei Bewusstseinsaktivitäten fest. Dies ist ein heute ebenso allgemein anerkannter Sachverhalt wie die labormäßig feststellbaren Defizite in Hör- und Sehleistungen sowie der Mangel an feinabgestimmter Integration der Sinnestätigkeiten von Ohr und Auge. Für deren Diagnose hat das Blicklabor der Freiburger Universität die entscheidenden Instrumente entwickelt. Aber auch auf dieses Problem wird schichtenspezifisch reagiert. Die Mittelschich- ten ziehen ihre Kinder therapeutisch hoch und lassen sich die Legasthenie bescheinigen, um den Gang aufs Gymnasium antreten zu können. Die Kinder der Unterschicht erscheinen nur als dumm oder weniger intelligent.

Erst wenn man diese drei Scheitelpunkte, das entwicklungspsychologisch sich entfaltende Komplexdenken, die unterschiedlichen Ausprägungen und Reifegrade der Verschränkungen von Rechts- und Links zwischen Gehirn und Körper sowie die Entwicklungsstörungen durch Zahnwerkstoffe und Impfschäden, in den Blick nimmt, wird offensichtlich, wie sehr die Zensurerteilung mit ihrer außergewöhnlichen Machtstellung des Lehrers als Methode der Leistungsermittlung und der Motivation leerläuft. "Wenn dem Schüler die Noten gleichgültig sind, bin ich mit meinem Latein am Ende", so lautete das Resümee einer Lehrerin in einem vom ZDF ausgestrahlten Film.

Nicht nur mehr am unteren Ende des Schulsystems fehlt alle Hoffnung, weil schon seit den achtziger Jahren von der gesellschaftlichen Mitte hingenommen wird, dass Hauptschüler keine Lehrstelle bekommen. Inzwi- schen stellt sich auch für Realschüler das Problem, nicht in einer Lehrstelle unterzukommen. So in die Zange der verminderten Lebenschancen wegen der Herkunft und für die Zukunft genommen erodiert das Schulsystem inzwischen von unten her.

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Exakt an diesem Punkt, wo man keine Noten mehr braucht, beginnt etwa das Latein der schwedischen und finnischen Schulen. Was einst 1968 und in den Folgejahren heftig diskutiert und als Utopie abgetan wurde, ist in den skandinavischen Ländern gesellschaftliche Realität. Man hat dort eine Lernkultur des Mitgehens mit dem Kinde entwickelt, die sich diese Kontaktlosigkeit und Feindseligkeit gegenüber Schülern, wie sie in Deutschland weit verbreitet ist, gar nicht leisten kann. In diesen Ländern sind die geschichtlich vorwärts weisenden Strukturen sozial konsolidiert, die verlangen, das Kind als Person anzusprechen und mit ihm zu verabreden, was es lernen soll. Man gibt seiner Eigenart die nötigen Hilfen, die bis hinein in Integrationsübun- gen von Sehen und Hören reichen. Diesem hohen Anspruchsniveau verdankt sich das Ansehen der Lehrer in diesen Ländern und der dichte Erfüllungscharakter ihrer Berufstätigkeit, obgleich sie in ihrem Einkommen um mehr als ein Drittel unter dem der deutschen Lehrer liegen.

Wenn man nun einen deutschen Schulmeister fragt, wie eine Unterrichtskultur aussehen könnte und was er in seinem eingefahrenen Verhalten ändern müsste, wenn ihm das gravierende Bemächtigungsinstrument Notengebung genommen und er gerade ohne dieses sogar höhere Leistungen der Schuler mit hervorbringen helfen soll, so kommt er regelmäßig ins Schwitzen und macht Ausflüchte. Er hat Denkhemmungen und er kann es sich gar nicht mehr anders vorstellen, als wie es bis in den letzten leiblichen Zipfel seines Unbe- wussten einsozialisiert ist. Deshalb sind die kognitiven Wahrnehmungen des Ichs und die emotionalen des Leibs sind durch die institutionellen Schranken des deutschen Schulwesens geprägt. Dennoch weis er in seiner hintersten Ecke des Unbewussten, dass er sich in diesem Fall grundlegend verändern müsste und es gälte ihm Mut zu machen, dass er sich auch getragen durch eine soziale Bewegung, die derartige Reformen in Angriff nimmt, nur zu seinem Besten entwickeln könnte, wenn er derart zur Selbstentfaltung aufgefordert würde.

Um auch nur schrittweise voranzukommen, wäre ein bedeutend höherer Kooperationsgrad innerhalb der Lehrerschaft verlangt, vor dem sich viele scheuen, der aber für die Meisten ein persönlicher Gewinn werden könnte. Es gibt inzwischen gelungene Beispiele von reformierten Staatsschulen in Deutschland zu besich- tigen. Sie zeigen, dass alle von einer gesteigerten Kooperation innerhalb der Lehrkörper profitieren können. Die Kooperationen müssten von den Beteiligten sozial konstruiert werden. Dabei gilt, was bereits festgestellt wurde: Nur in dem Maße, wie sich Lehrer zueinander kooperativ verhalten, also tragfähige Sozialstrukturen innerhalb des Kollegiums schaffen, steht das Kind und der Jugendliche, der Schüler, im Mittelpunkt des Interesses. Da wo die Kooperationen dicht sind und die Türen während des Unterrichts offen bleiben, sich Lehrer im Unterricht gegenseitig besuchen, um sich für den gemeinsam vorbereiteten Unterricht auch gegen- seitige Supervision zu geben, wäre es nicht mehr für die anderen Lehrerkollegen gleichgültig, ob Schüler herabgesetzt und gedemütigt werden. Dann existiert nicht nur eine hohe Hürde dafür, dass einzelne Schüler ausgegrenzt werden. Vor allem entsteht eine das Lernen fördernde Atmosphäre, weil die Kooperation zwischen den Lehrern weiterschwingt und Resonanz in der Konstruktion von kooperativen und aktiv teilhabenden Lernaktivitäten innerhalb der Schüler findet.

So läuft in Baden-Württembergs Realschulen ein interessantes Experiment: Die Fächer Biologie, Physik und Chemie sind zu einem Unterrichtsfach, dem Naturwissenschaftlichen Arbeiten, integriert worden. Aber statt dies als einen Auftrag zur Kooperation wahrzunehmen und eine innere Lehreinheit gemeinsam zu schaffen, sich gegenseitig im Unterricht zu unterstützen und zu besuchen, rechnet man in vielen Schulen die jeweils zu gebenden Stunden bezogen auf den Notenschlüssel wieder auseinander, die ihnen der Lehrplan als eine Gesamteinheit vorschreibt. Auch so kann man dokumentieren, dass man hinter den Anforderungen der Zeit zurück bleibt und unfähig zur Kooperation ist.

Die Notengebung belastet nicht nur die Schüler und ist nicht nur gesamtgesellschaftlich gesehen ineffektiv. Mancher junge Lehrer erschrickt über die Macht, die ihm damit in die Hand gegeben ist. Und nicht nur, dass es viele auch mehr als eine lästige Pflicht ansehen, Noten zu erteilen und sehr wohl sehen, wer sich ihnen anbiedert und ihnen zu schmeicheln versucht. Vor allem aber müssen die Lehrer für ihre Funktion, Noten austeilen zu können oder zu müssen, nahezu unentrinnbar bitter bezahlen.

Unsere nach der ochsenreitherschen Human- Spektral-Diagnostik vorgenommenen Resonanzabgleiche zur Befindlichkeit und Animalogie des Atems ermitteln oft eine Negativität seelisch-geistiger Informationsströme, die sowohl dem Schüler als auch dem Lehrer individuelle Entfaltungsmöglichkeiten nehmen und soziale Teilhabemöglichkeiten geradezu versperren. Die Aktivierung individueller Verstrickungen in Konflikten zwi- schen Lehrern, Schülern und Eltern würde nie diese affektive Gewalt erhalten, wäre die Schule kein Selek- tionsraum, sondern ein purer Kooperationsraum. Soziale Teilhabe im Einbringen der Eigenbedürfnisse hat formbildende Kraft, durch welche sich die inneren Atemgestalten entfalten..

Statt über Kooperation, die Kommunikations- und Interaktionsstrukturen im Dienste der Individualisierung des Lernens, redet man in der aktuellen Debatte über die soziale Ungleich- heit in einem Ton, als wolle man die Klassen abschaffen. Wird endlich einmal über die innere Mechanik des Schulunterrichts gesprochen, melden sich unter den Eltern meist diejenigen mit affirmativer Stimme zu Wort, die unempfindlich selbst gegenüber den Beschädigungen - seis durch hochge- schraubten Drill oder traditionales Lehrerverhalten - der eigenen Kinder bleiben. Hier ist dann der Punkt fest- zumachen, an dem sich die ganz gewöhnliche seelische Verwahrlosung durch Nichtbeachtung und Unklar- heit, Übergehen und Übersehen bei Eltern und Lehrern die Hände reicht. Dagegen gilt ein persön- liches Entwicklungsniveau zu gewinnen, das sowohl die Rigiditäten der Arbeiter- und Angestellten- kultur der Industriegesellschaft hinter sich lässt als auch die Muse ins Lernen zurückholt.

Den Kindern der Ausgegliederten und der Unterschichten wird oft das persönliche Wort verweigert, während das von seinen Akademikereltern zurückgewiesene Kind noch hofiert wird. So gesehen ist der schulische Konflikt sowohl ein kultureller als auch ein sozialer. Das Schulsystem ist als ein gegenüber den Familien verselbständigtes Sozialsystem mit sich selbst erfüllender Lebenskraft zu etablieren, das die Krisen anderer Sozialsysteme im Übergang zur Informationsgesellschaft abfedert und nicht wie heutzutage verschärft. Die Schule muss zu einem Ort der Bildung werden, bei der die Entwicklung der individuellen Potentiale aller zur Voraussetzung der Selbstentfaltung des Einzelnen wird. Ein derartiges Bildungssystem würde selbstredend einen gesellschaftlichen Egalitätsschub nach sich ziehen und soziale Integrationskräfte, welcher die Gesellschaft so bitter bedarf, freisetzen.

       Textanfang und zu den Links über Resonanzabgleiche

       siehe auch: Notengebung als abstraktes Effektivitätsmaß

         siehe auch hierzu die Überlegungen zur Reformpädagogik in der Studie “Die anthropologische Frage I”            von Markus Fuüßer    

           Inhalt und Leseprobe                          Buchvorstellung