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Tonustraining?
Maria Höller-Zangenfeind hat eine Schwebebrücke zwischen dem Erfahrbaren Atem von Ilse Middendorf und der Psychotonik von Volkmar Glaser eingehängt
Maria Höller-Zangenfeind, Stimme von Fuß bis Kopf. Ein Lehr- und Übungsbuch für die Atmung und Stimme nach der Methode Atem-Tonus-Ton, Studienverlag Innsbruck 2004

 

 Inhalt:

Etwas kann nicht stimmen
Dazwischen
Muskelsinne und Tonusregulation
Antwort auf dentale Kunststoffbelastungen
Das Problem der Heilhindernisse
Umpolarisation durch gesetzte Gegenspannung
Transsensisches Verhalten in Atem-Tonus-Ton
Perspektiven

 

 

Etwas kann nicht stimmen
Aus der Vielzahl der heute angebotenen Atemfibeln bietet sich das Lehr- und Übungsbuch von Maria Höller- Zangenfeind in einer besonderen Weise an. Die Begründerin der Methode „Atem-Tonus-Ton“ war mehrere Jahre Assistentin von Ilse Middendorf. Dazu lässt weiter aufhorchen, dass sich die Autorin genötigt sah, die Arbeit mit dem Tonus zwischen die Arbeit mit dem Atem und den Ton zu schieben, gleichwohl der midden- dorfsche Umgang mit der Atembewegung ebenfalls beansprucht, das in der Atemerfahrung angesprochene Gewebe zu tonisieren – Überspannungen zu lösen und Unterspannungen anzuheben.

Durch Körpereinsatz hervorgerufene Spannung gegen den Boden, was sie als Widerstandsarbeit gegen die Schwerkraft begreift, von einem Partner gesetzter Druck gegen die Körperwände sowie reflektorischer Ein- atem sind die drei Grundbeziehungen des Übungsarrangements, dem sie die wohlklingend treffende Be- zeichnung Atem-Tonus-Ton verliehen hat: „Tonus kann man trainieren, automatisieren und bewusst lösen“ proklamiert die Erfinderin einer neuen Methode und stellt mit dieser Kernaussage zunächst all das auf den Kopf, was nicht nur den Inbegriff des middendorfschen Erfahrbaren Atems ausmacht. Alle westlichen Atemschulen fußen auf dem Grundverständnis, dass Eutonie alles andere als direkt machbar, geschweige denn zu automatisieren sei.

Die Physiologie unterrichtet uns dazu, dass nur die Entspannung eines zum Krafteinsatz zuvor zusammen gezogenen Muskels der Willkür zugänglich ist, nicht aber die Lösung eines zu hoch gespannten Muskels. Auch die Entspannung von einer Hypertonie geschieht dadurch, dass man die sie begleitende angestrengte Konzentration aufgibt, indem man sich von Anforderungen der Außenwelt absentiert, sich abschaltet, viel- leicht sich zum Abschlaffen hinlegt – im wahrsten Sinne des Wortes entspannt. Eine Eutonie aber kann gegenüber einer Über- oder auch Unterspannung – besonders durch den, der darin geschult ist – dadurch gewonnen werden, indem man seine Aufmerksamkeit in wacher Präsenz auf eine Sache oder eine andere Person hin ausrichtet.

Offenbar genügte Maria Höller-Zangenfeind trotz jahrzehntelang erprobten Umgangs die Herangehensweise des Erfahrbaren Atems nicht, um den körperlichen Anforderungen einer Gesangs- und Sprechstimme ge- recht zu werden, obwohl auch dies durch die middendorfsche Arbeitsweise in allerhöchstem Maße bean- sprucht wird. Es wundert, weshalb all das, was Ilse Middendorf an zur inneren Differenzierung der Atem- bewegung, nicht nur für den Stimmgebrauch entwickelt hatte, bei Maria Höller-Zangenfeind doch nicht gefruchtet hat, als sie zu singen begann. Wie sie in ihren Fortbildungsgruppen für Middendorf-Atemleh- rerinnen erzählt, die ihre Arbeit teilweise begeistert aufnehmen, fehlte es ihr, als es schließlich wegen des Singens bei ihr selbst darauf ankam, am nötigen Spannungsaufbau. Dies konnte sie als profilierte Midden- dorf-Atemlehrerin nicht ruhen lassen. Sie suchte sie nach Abhilfe und landete offensichtlich einen Volltreffer.

Aber dennoch: Ein solches Manko dürfte nach jahrzehntelanger Atemerfahrung – gemessen an den hohen Ansprüchen der Middendorfschule – einfach nicht sein. Man müsste danach ohne weiteres in außerge- wöhnlicher Innerlichkeit auf dem Atem singen können. Unverständlich bleibt, weshalb bei ihr noch immer die Stimme brach und es deshalb einer gesonderten Tonusarbeit bedurfte. Zugespitzt kann man fragen, weshalb etwa die intensive Arbeit nach der middendorfschen Atemlehre des Erfahrbaren Atems nicht zu verbürgen vermochte, dass ihr ein anmutendes Appoggio wie von selbst in modulationsreicher Spannung gelang, wodurch auch die Schwunglinie des Legatos fortgetragen wird?

Verdeutlichen wir an diesen beiden Schlüsselbegriffen, um was es beim Übergang von Atem-Tonus-Ton generell geht. Appoggio und Legato bilden nämlich den Kern einer Sangeskunst, die an den unwillkürlichen Fluss der Atembewegung angejocht ist. Beim Appoggio wird nach altitalienischer Lehre so der Kopf in den Rumpf gelehnt, dass ohne weiteres Dazutun ein persönlicher Ton gelingt, weil der Gesamtorganismus in die Gravitation eingefügt ist. Deshalb können Atem, Tonus und Ton zusammenwirken und sich einander ergän- zen. Das echte Appoggio dementiert die heutzutage gebräuchliche willentliche Atemstütztechnik, weil es auch die Stimmresonan- zen, den Schädelklang und die Bruststütze, also all das einbezieht, was der mid- dendorfsche Umgang mit dem Atem fördert. Denn das Appoggio birgt das unwillkürliche Stützgefühl im Brustbereich, das von der antreibend-aufrichtenden Atemkraft getragen ist. Wenn diese sich unterhalb des Zwerchfells bildet, werden bei dessen ausatmenden Zurückschwingen Stützreflexe aktiviert.

Während das Appoggio von der vertikalen Zwerchfellschwingung abhängt, stützt sich das Legato in der anderen Hauptatemmuskulatur ab, die vornehmlich innerhalb des horizontalen Weit- und Schmalwerdens wirkt: Die Linie des Legato wird von Ein-und Ausatem-Schwingungen der Zwischenrippenmuskulatur weiter- getragen, die während der Tongebung selbst entstehen, wodurch die Tonhöhe lückenlos von einer Tonhöhe zur anderen übernommen wird. Diese zweite Hauptatemmuskulatur begleitet die Tonformung mit dynami- schen Ein- und Ausatemimpulsen, während also der gesamte Brustkorb durch das tongebende Ausatmen bereits schmaler wird. Die Schwunglinie des Legatos wird von der zurückgehenden Einatemweite getragen. Wenn es die unwillkürliche Reflextätigkeit der Zwischenrippenmuskulatur ist, durch die eine variantenreiche Atemdynamik den Stimmeinsatz fortträgt, so ist etwas im Spiel, was ebenfalls nie direkt erlernt und nimmer automatisiert werden kann: Das Innerste der Seele drückt sich in der Stimme aus.

In der Lehre vom Erfahrbaren Atem wollen diese Möglichkeiten der Sangeskunst aufgehoben sein. Entschei- dende Entwicklungen zur middendorfschen Atemlehre vollzogen sich in der Nähe zur Kunst. Ilse Middendorf wirkte lange als Dozentin an der Berliner Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, an der sie 1971 als Professorin berufen wurde. Sie hat ihre Methode keinen klinischen Spezialbedürfnissen angemessen und sie will ausgerechnet besonders darin geschätzt werden, wogegen nun ihre ehemalige Assistentin ein Dementi einlegt: in der Thematik des beseelten Ausdrucks, der in der darstellenden Kunst zum Gegenstand eines schöpferischer Aktes wird. Der Erfahrbare Atem als gesammelte Atemweise will die außergewöhn- liche Geistesgegenwart entfalten, die sich der Aufgabe widmet, die das Werk und der Komponist stellen.

Doch auch eine anderer Atemschule, die Psychotonik von Volkmar Glaser widerspricht in ihrer Anlage dem middendorfschen Weg. Ohne dass dies im Atemverband (der Arbeitsgemeinschaft für Atempflege) je als Konflikt thematisiert worden wäre, hatte er im persönlichen Gespräch und in seiner Fortbildung moniert, dass ihn persönlich die middendorfschen Übungen nur depressiv machen – also in die Extremform kraftloser Fehlspannung bringen würden. Diese Klage um eine lavierte Depression durch spürsame Körper- und Atemübungen führen inzwischen auch andere.

Atem-Tonus-Ton soll keineswegs nur dem dienen, was der Erfahrbare Atem von Ilse Middendorf garantieren will – nämlich mit gut entwickelter Stimme ausdrucksvoll zu singen und zu sprechen. Es handelt sich bei Atem-Tonus-Ton mitnichten um eine Steigerung der Middendorf-Atemarbeit, die sich nun auf eine Stimm- arbeit focusiert. Vielmehr bietet Maria Höller-Zangenfeind ihre Methode außer einem selbstverständlichen Interesse an sich selbst und dem eigenen Leib voraussetzungslos an: „Es bedarf keinerlei Vorbildung be- züglich der Stimmpflege oder der Körpererfahrungsarbeit. Sie können sofort einsteigen.“

Unübersehbar konkurrieren Methoden in ihren auf einem vortheoretischen Erfahrungsgebiet gewachsenen Ansprüche miteinander. Eine pragmatische Antwort auf die gestellten Fragen, kann sich nur am Kriterium der Zweckmäßigkeit oder im Appell an die innere Gewissheit brechen. Entweder es hilft oder eine empfin- dungssichere Erfahrung wird auf eine von außen unüberprüfbare Wertungsebene geschoben. Dann wird erst später klar, ob man sich beim jahrelangen Üben das Glück auf Erden eingeredet hat. Dann macht Erfahrung nicht Klug, sondern – nach dem Diktum von Theodor Adorno – ausgesprochen dumm.

Man predigt in den Ausbildungsstätten der Middendorfarbeit, dass es nur auf die Erfahrung und dabei ge- wonnener Gewissheiten ankäme. Nur ist es der größte Irrtum zu meinen, dass es durch transzendeten Praktiken gewonnene Gewissheiten nicht ohne einen Anschluss zum reflexiven Wissen gehe. Was wahrhaft sein will, gibt es nicht ohne Unterscheidung, die sehr wohl – wie uns das Atmen aufklärt – vor einer Subjekt- distanzierung gegenüber einem Objekt liegen kann. Aber gerade diese Egologik kommt sofort wieder herein, wenn ich auch nur ein sterbenswörtchen zu dieser Angelegenheit denke oder jemandem anderen mitteile.

Auf der unmittelbaren Erlebnisebene widerspricht eine Erfahrung der anderen, ohne dass sich rationale Kri- terien fürs Urteilen ausbilden könnten. Bleibt die intuitive Orientierung an Übungen in solcher Reflexions- losigkeit belassen, kann man die aufgeworfenen Fragen nur abwehren. Die andere Möglichkeit ist, man zerrt das unhinterfragte Vorverständnis, das jeder Wertung durch Erfahrung zugrunde liegt, zum Tanz auf die Bühne.

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   Inhaltsverzeichnis

 


 

Dazwischen
Maria Höller-Zangenfeind hat seit den achtziger Jahren ein Übungsfeld erschlossen, das viele Arbeitsweisen aus dem middendorfschen Ensemble in eine Arbeitsweise transformiert, wodurch jedoch auch das Grundanliegen des Erfahrbaren Atems entkernt wird: Eine gesammelte Atemweise zu sein, in welcher die in der Atembewegung geborgenen Unterscheidungen nicht nur für den Kunstgesang zum Tragen kommen. Stattdessem führt sie isometrische, sprich mit gegenpolaren Spannungssetzungen gepaarte Arbeitsweisen ein, welche die Logopädie, aber auch manch anderer technische Umgang mit dem Atem, der in den neunziger Jahren noch Konjunktur hatte, schon lange kennt.

Die middendorfsche Atemlehre ist noch daraufhin ausgelegt, alle hinter einer bewussten Absicht stattfinden- de Einflussnahme auf die Atembewegung zu neutralisieren und die Atembewegung nicht erneut durch die bloße Selbstzuwendung zu stören. Diese Frage der Störbarkeit der Atembewegung, die nur die andere Seite der Medaille ist, dass die Atembewegung auf alles empfindsam reagiert, stellt sich in der Herangehensweise von Atem-Tonus-Ton gar nicht mehr, weil mit dem reflektorischen Einatem gearbeitet wird. Dieser Methode umgeht die Selbststörungsthematik der Atembewegung, weil sich zwangsläufig vollzieht, was reflexhaft geschieht.

Nicht das bei Middendorf übliche geduldige Belauschen, welches die Person durch den Sammlungsakt über den frei werdenden Eigenrhythmus zu sich kommen lässt, trägt die Grundausrichtung der von Maria Höller- Zangenfeind kreierten Methode. Sie hat vielmehr einfache Übungen aus der von Ilse Middendorf geschaf- fenen Bewegungsarbeit und Vokalraumarbeit hin zu einer psychotonischen Dimension umgestaltet, die von einer wachen Präsenz des Ichs, das Bewegungen ausführt, gegenüber dem Boden und dem Partner lebt. Diese Vorgehensweise ist pointiert aus Volkmar Glasers Atemschule bekannt. Der middendorfsche Kanon kennt einen dementsprechenden, jedoch nur singulären Übungseinsatz als Spannungsatem.

In Maria Höller-Zangenfeinds Arbeit erscheint jedoch auch die Herangehensweise von zwei hergebrachten Atemschulen verschränkt, die gegensätzlicher nicht sein könnten: Während Ilse Middendorf die Sammlung nach innen auf die Spannungsempfindungen lenkt, die durch die Bewegung beim Atmen hervorgerufen wer- den, richtet Glaser die Sinne nach außen, auf den Boden, aber vor allem den anderen aus oder gebietet im Falle des Singens das Publikum sensorisch in den eigenen Raum zu nehmen. Eine Ausfaltung der Sinne im Raum ist also gemeint. Glaser spricht in Anlehnung an Ludwig Binswanger, den Begründer einer Anthropo- logischen Psychiatrie, vom sensorischen „Über-sich-hinaus-sein“, das sich auf der Grundlage einer wachen Bereitschaftshaltung verwirklicht.

Keine Selbstempfindung wie im Erfahrbaren Atem liegt also der glaserschen Psychotonik zugrunde. Eine verbesserte Tonisierung wird stattdessen dadurch hervorgerufen, indem mit dem eigenen Leib zum anderen hingespürt und dieser sogar in den eigenen sensorisches Ausdehnungsraum hereingenommen wird. „Trans- sensus“ ist der Grundbegriff für diesen eine Sphäre schaffenden Vorgang, .Das was also Atmosphäre ge- nannt wird, lebt von der sensorischen Aktivität der Teilnehmer zueinander, der gegenseitigen Resonanz von darstellendem Künstlers mit dem Publikum, des vortragenden Redners mit der Hörerschaft.

Glaser macht in seiner auf den Transsensus angelegten Psychotonik bewusst, was den Körper zum Leib macht. Denn Leib ist keine Substanz, die wie der Körper vermessen, manipuliert und zweckmäßig bis hin zur Auslösung selbständiger Reflexabläufe gehandhabt werden kann. Der Leib übersteigt das physikalische Volumen des Körpers, dem das klassische Denken die Substanz, den Geist, den Inhalt absolut entgegengesetzt hat. Mit Leib ist vielmehr der Niederschlag einer sensorischen Relation zwischen Innen- raum und Außenraum in uns selbst gemeint, durch die sich die strukturgesetzlichkeiten der Atembewegung entfalten.oder nicht. Die energetischen Gliederungen, die der Leiblichkeit zugehörig sind, haben dann auch nicht jenen physikalischen Dingcharakter, wie er allen Kausalbeziehungen zukommt.

Leib ist Bezugspunkt aller Existenzphilosophie und Lebensphilosophie sowie der Anthropologischen Philosophie und Anhtropologischen Medizinverständnisse. Der Leib ist das “In-der-Welt-sein” (Martin Heidegger) der Fundamentalontologie. Da der Leib dem Befinden im Raum zugehörig ist, spricht Heidegger vom „Sein im Raum“. Dagegen ist die Bewegung zunächst ein körperlicher Akt, der darin leiblich wird, als sich in dessen Vollzug ein Aussehen zeigt, das dem Befinden entspricht. Denn der Leib gewinnt darin seine Bedeutung, dass er präkognitiv und präverbal wertet, was sich dann im Ausdruck, der beseelten Stimme, der Mimik und Geste sowie dem freien Tanz zeigt. Das Werten des Leibes aber kommt durch Informationsaustausch zwischen Innenwelt und Außenwelt zustande. Zum Energetischen gesellt sich das Informatorische.

Befinden ist also mehr als Empfinden. Denn das Befinden meint immer eine vital-sensorische Raumbezie- hung. Doch wir sind nur bündig in der Welt und können entsprechend unserer Möglichkeiten singen, indem wir zugleich über uns hinaus sind. Und wir können nur über uns hinaus sein, wenn wir in der Schwerkraft verankert sind. Dies sind die sensorisch-tonischen Grundlagen, aus denen die der Ichbildung vorher gehende Person seine Außenwelt nach dem Modus der „exzentrischen Positionalität“ (Helmuth Plessner) zur Mitwelt werden lässt.

Bei guter Gespanntheit, im guten Kontakt werfen wir unser sensorisches Kleid über den anderen. Diese sensorische Bindung gelingt weder dem In-sich-gekehrten noch dem ängstlich-neurotisch Angespannten, weil sie in ihrem Dasein nicht situiert sind. Beide sind unfähig, ihrer eigene Innenwelt zu erfassen, indem sie die Welt erleben. Dem ersteren fehlt primär die sensorische Ausdehnung im Raum, dem letzteren die sensorische Positionierung in ihm. Die exzentrische Fähigkeit, die sensorische Leibgrenze über sich hinaus zu verschieben, findet ihre Maßsetzung in der Fähigkeit, sich der Schwerkraft anzuvertrauen und damit gegen den Boden aufgerichtet zu sein. Durch dieses Zusammenspiel werden wir als Person fähig, eine geistige Sphäre als „In-der-Welt-sein“ zu leben.

Die Psychotonik ist vor allem auf diesen sphärischen Verbindungsaspekt des menschlichen Zusammen- seins, nämlich der ausgedehnten Leibgrenze angelegt, das der Arzt und Atemlehrer Volkmar Glaser beson- ders beim Kranken verletzt sieht. Er steht mit seinen Beobachtungen, dass dadurch die Person ihre Mitwelt verliert, im Einklang mit der Klinik der Anthropologischen Medizin, die durch die Philosophie Martin Heideg- gers über den Psychiater Ludwig Binswanger sowie durch die Gestalttheorie Viktor von Weizsäckers angestoßen worden war.

Dagegen sucht der Erfahrbare Atem von Ilse Middendorf zunächst die andere Grundbestimmung der menschlichen Existenz auf: Die Unterscheidung, weil im reifenden Gang der wachsenden Atembewegung und sich dadurch differenzierenden Selbstempfindung all das aus der geistigen Sphäre des „Wir“ klar und gewiss wird, was von außen herein kommt, beengt und die Authentizität einer Person vernichtet. Aber nicht das Innewerden seelischer Inhalte, das Durchleben der seelischen Existenz also, ist Gegenstand des Erfahrbaren Atems. Vielmehr zielt er auf jene sinnliche Existenz des Menschen ab, wo er die natürliche Mitte zwischen seinem atembewegten Innenraum und der Außenraum einnimmt, die als Verhältnis von Ausdehnung und Positionierung durch die soziale Mitwelt, die zu schaffen der Person aufgegeben ist, relativiert wird.

Die einfachste Grundform des „Transsensus“, von der alle muskeltonische Regulation lebt, ist die gutge- spannte Vertikalbeziehung, durch die wir uns von der Erde tragen lassen. Sie gestattet jene geschmeidige Anpassungsleistungen in einer sozialen Situation, durch die wir auch auf die andere muskeltonische Dimension verwiesen sind: die Horizontalität. Im vital-sensorischen Raum sind wir sowohl gegenüber der Schwerkraft positioniert als auch gegenüber der Fliehkraft ausgedehnt. Anthropologisch gesehen sind wir dadurch überhaupt erst zu etwas „in der Lage“. Die Physiologie spricht bezeichnenderweise vom „Lage- tonus“, der phasisch wiederum durch spezifische Aufmerksamkeits- und auf den anderen bezogene Hand- lungsaktionen differenzierbar ist: Unsere Existenz ist situiert, wenn sie für diesen emphatischen Vorgang auf eine im Außenraum geschaffene stabile Sozialität rückgreifen kann.

Positionierung im Raum verhilft uns zur Zentrierung unseres Verhaltens. Wir verlieren uns nicht im zufällig Äußeren, weil diese den Gegenhalt zur Reaktion auf die Reize aus der Welt leistet. Gründet unser Ver- halten in einem atembewegten Hintergrund, so wird durch ihn die Exzentrizität eine grundlegende Formung erfahren. Erst die Art und Weise der Horizontbildung durch die sensorische Ausdehnung im Raum ent- scheidet, ob wir jene Selbstverständlichkeit im sozialen Handeln gewinnen, durch die wir auf den anderen gelassen reagieren. Durch einen sensorischen Hintergrundsraum hindurch erhalten wir unsere exzentrische Positionsform. Dem dadurch gelingenden Verhalten liegt die Tonusform des Kontaktes zugrunde, welche die Physiologie als „Gammatonus“ kennt. Dieser rückt besonders ins psychotonische Interesse der Glaserarbeit.

Glaser begründet mit seiner Atemmassage, seinem Kommunikativen Bewegen und seinem Eutonieaufbau eine vitale Pathie des Verbundensein mit dem anderen. In ihr kommt es vor allem darauf an, dass wir den sensorischen Raum so stimmen, um ihn mit dem anderen gemeinsam zu bewohnen. Glasers psychoto- nische Atemarbeit gründet in der Lösung, die der leiblichen Resonanzbeziehung zugehörig ist. Lösung ist wegen der Personengebundenheit deshalb etwas anderes als Entspannung, weil sie innerhalb einer sen- sorischen Relation von Innenwelt und Außenwelt stattfindet und durch sie ein Sinngeschehen moduliert wird. Es ist – so die glasersche Psychotonik ausrichtende Grundüberzeugung –  der Kontakt mit dem anderen, der löst.

Kontakt bedarf der transsensischen Berührung. Ein Mit-dem-anderen-gehen verlangt, dem anderen einen sensorischen Rückhalt im angebotenen Raum zu spenden. Und die menschliche Begegnung als In-begriff der Wandlung schließlich lebt von der Kohärenz eines gegenseitigen Transsensus, der sensorischen Ver- schränkung der beteiligten Leiber, das Mitschwingen des einen im anderen, durch das ein Informationsaus- tausch mit positiver seelisch-geistiger Kraft stattfindet.

Der Erfahrbarer Atem von Ilse Middendorf will dagegen die Vielfalt der äußeren Räume, in die wir hinaus- leben, in dem wir diese sensorisch in uns hereinnehmen, in ihrer gestalthaften Atemdimension ausdifferen- zieren. Nicht das Befinden, wie in der glaserschen Psychotonik, sondern das Empfinden ist das Ausgangs- datum. Das unbekannte Innere soll durch die freigewordene und erlebte Atembewegung zu jener ausstrah­ lenden Kraft werden, welche die leiblich konstituierte Sphäre stimmt, in welche wir durch unser Tun und Lassen eintreten. An den eigenen Atemrhythmus angebunden vermag nunmehr das Eigene dem Fremden unvoreingenommen begegnen, wodurch eine Mitwelt geschaffen wird, in der das Fremde ins Eigene auf- genommen werden kann.

Den innersten Kern der Person können wir von außen nie verstehen und er kann auch nicht als psychische Existenz selbstverstanden, sondern nur gelebt werden. Keine Tiefenpsychologie vermag ihn zu erfassen und er kann nur durch eine gesammelte Atemweise gesichert werden. Wegen dieser Hermetik der Person besteht eine Unberechenbarkeit, durch die hindurch sich jene spontane Anmutung entfaltet, durch etwa ein Orchester, ein Schauspieler oder Sprecher  in Resonanz zu seinem Publikum tritt.

Den Gegensatz in der Ausrichtung der Sinne, dem wir in den beiden Atemschulen begegnen, hält die Me- thode Atem-Tonus-Ton durch die Widerstandarbeit und die Druckarbeit in der Schwebe. Sie setzt an jenem Punkt ein, wo die weiterreichenden Ambitionen dieser beiden Atemschulen nicht mehr zur Debatte stehen. Denn der reflektorisch einfallende Einatem realisiert keinen sensorischen Raumbezug. Die Leiblichkeit fin- den wir in diesem erklärtermaßen zentralen Übungsaspekt geradezu neutralisiert. Denn der reflektorische Einatem ist ein körperlicher Atemreflex, der mit der leiblichen Dimension der sensorischen Raumbildung als Relation von Inneren und Außen ebenso wenig etwas zu tun hat, wie der willkürliche Muskeleinsatz selbst, mit dem nach Höller-Zangenfeind der Schwerkraft widerstanden werden soll.

Umgangen ist in der Methode Atem-Tonus-Ton auch der Bezug auf die einzigartige Sonderstellung der Atemfunktion bezüglich des Willkürbewusstseins, die einstmals Anlass zum Streit um die besten Methode war. Beiden methodischen Möglichkeiten der Atemarbeit, dass wir einerseits mit dem Willen die Luft holen können, um den Atem technisch einzusetzen und andererseits das Atmen unwillkürlich entsprechend unseres Befindens stattfindet, begegnet die Methode Atem-Tonus-Ton in einer erstaunlichen Indifferenz. Diese ist möglich, weil die Arbeit mit dem Ton sich auf ein Repräsentationsgeschehen bezieht, das zwischen einer Handlung und dem Ausdruck liegt. Aus dem ersten Aspekt folgen willentliche Formungen, aus dem letzteren unwillkürliche, vom Atem selbst getragene. Eine die Tonformung begleitende Spannungsarbeit wirkt indirekt auf den Atem: Widerstandsarbeit oder Druckeinsatz optimiert die Ausatemspannung und deren Beendigung lässt den reflektorischen Einatem einfallen. 

Der Erfahrbare Atem transzendiert noch beide Atemweisen, die aus der Doppelschlächtigkeit der Atemfunktion hervorgehen, nämlich sowohl willkürlich als auch unwillkürlich zu sein. Er selbst ist eine dritte, nämlich gesammelte und jenseits des Gegensatzes von körperlich und seelisch angesiedelte Atemweise. Indem die Atembewegung empfunden und zugleich als Sammlung in Hingabe und Achtsamkeit erlebt wird, kann durch die Gunst der Stunde der endogen eingeschriebene Atemrhythmus frei werden, der durch keine Außenbeziehung und keine noch so versteckte Absicht mehr dirigiert wird. Durch den wandelnden Eigenrhythmus wird die Welt so „in“ der Person eingestellt, dass das Eigene dadurch zu sich selbst kommt, weil es von einem dem Ich selbst unbekannten Innern getragen wird.

Derartige Existenzfragen, welche die theoretische Durchdringung des durch die middendorfsche Atemarbeit gegebenen Erfahrungsgebietes aufschließt, interessieren Maria Höller-Zangenfeind jedoch nicht. Sie will endlich die Stimme zum Singen und auch Sprechen gebrauchen. Ihre Methode beruht vor allem auf einer durch das Ich geführten Willkürbewegung im Tonungstraining. Dabei geht es mitnichten darum, direkt aktiv zu atmen. Vielmehr kann durch die eingesetzte Widerstandsarbeit so die Spannung gehalten werden, wie sie fürs Atmen zweckmäßig ist. Dadurch wird nicht nur die nötige Luft mobilisiert. Auch kann die Atembewegung durch den geführten Ton in Gang gehalten werden. Die in der Methode Atem-Tonus-Ton mitgeführte Indirektheit gegenüber dem Atem belässt insofern die Unwillkürlichkeit, als der indirekte Eingriff den Atemimpuls zwangsläufig hervorruft. Der reflexhafte Atemeinfall wird möglich, nachdem die mit dem Ton verbundene Tonusarbeit achtsam beendet, also der dem Boden widerstehenden Krafteinsatz zum richtigen Zeitpunkt aufgelöst worden ist.

Verdeutlichen wir durch eine Zuspitzung weiter: Betrachtet man die Ebene der methodischen Mittel von Atem-Tonus-Ton isoliert, scheint eine Parallelität mit der Progressiven Muskelentspannung nach Jakobson gegeben, die aktiv anspannt und aktiv löst. Dabei werden ebenfalls Willkürkräfte zur aktiven Muskelan- spannung eingesetzt. Auch das Ich bleibt dabei am Rande der Empfindung stehen. Bei Maria Höller-Zangen- feind wird der geführte Muskeleinsatz „begleitet von innerer Anwesenheit, um diesen erzeugten Tonus auch wieder bewusst loszulassen“. Diese kontrollierte Aktivität muss, wenn sie auch nur etwas das subtile Atemgeschehen mitverpflichten will, Maße finden, die sie nicht aus sich selbst, sondern sensorisch schöpft, wodurch sie dennoch in den Bereich der einfachen Tonusmodulation durch Lösung gerückt wäre.

Wir monierten bereits den Tonusbegriff, welche der Methode Atem-Tonus-Ton zugrunde liegt. Seine klassische Bedeutung dürfte bei Maria Höller-Zangenfeinds Krafteinsatz jedenfalls ebenso wenig erfasst sein, wie bei der an ihn gebundenen Lösung. Denn Tonus definiert sich gerade durch den Gegensatz zu einer willkürlichen Setzung. Mit Muskeltonus ist jene Spannung gemeint, welche der passiv gedehnte Muskel dem ihm gegenüberliegenden aktiv angespannten Muskel entgegensetzt. Ist dieser Widerstand zu gering und auf den Gesamtorganismus verteilt, entsteht eine lasche Haltung und umgekehrt eine angespannte. Man widersteht der Schwerkraft sehr wohl durch einen dem jeweiligen Tun angemessenen Tonus. Dieser folgt aber keinem willkürlichen Krafteinsatz, sondern resultiert aus dem in einer Handlung oder Bewegung optimal verteilten Widerstand aller passiv gedehnten Muskulatur gegenüber der willkürlich betätigten.

Aber auch die zentralen Termini Widerstand und Druck, die ebenfalls aus der middendorfschen Atemarbeit bekannt aber ebenso wenig durch sie reflektiert sind, werden von der Erfinderin der Atem-Tonus-Ton-Methode in einen eigenen Kontext gestellt. Druck ist in der sensitiven Bewegungsarbeit ein einfaches Betätigen von Atemreflexen, wodurch der Atem mobilisiert werden kann. In der Atembehandlung wird durch Druck in den Einatemimpuls die Person zu einer Stellungsnahme aufgefordert. Und der dosierte Druck einer in die Einatemphase eingeschmiegten Hand, soll die Atembewegung gegen diesen Widerstand wachsen lassen. Bei Maria Höller nun wird der Widerstandsbegriff hin zu einer allgemeinen Beziehung der vertikal wirkenden Schwerkraft verschoben. Druck firmiert bei ihr als generelle Einwirkungsbeziehung, bei welcher die horizontale Dimension der Schwerkraft angesprochen ist: die Fliehkraft.

Der enge Zusammenhang zwischen Gravitation und Atembewegung zeigt sich bei einer Vollatembewegung darin, dass der körperliche Schwerpunkt mit dem Atemimpulspunkt im Becken zusammenfällt. Nur kann man darin allein nicht ruhen. Denn wir sind als Menschen durch die Aufrichtung zugleich in einzigartiger Weise der Fliehkraft ausgesetzt, wodurch das Außen von der Horizontalität her vor allem dort oberhalb des Zwerchfells beeinflusst, zerrt und drückt, wo die enge Gravitationsbindung wie beim Atemimpuls unterhalb dieses Hauptatemmuskels nicht mehr besteht. Deshalb müssen die von unten auftreibenden und aufrich- tenden Antriebe im Fluss durch den Atemleib einer persönlichen Prägung unterworfen werden. Wir wissen bereits mit der Erörterung des Legato, weshalb das Geschehen oberhalb des Zwerchfells entscheidend ist: Die Zwischenrippenmuskulatur tritt mit dynamischen Impulsen in das sensorische Konzert ein.

Die Aufrichtung kann nur als eine persönliche Haltungsleistung behauptet werden. Der persönliche Schwerpunkt liegt über dem Körperlichen, der im Becken mit dem Atemimpulspunkt zusammenfällt. Auch er hat einen direkten Atemzusammenhang. Er liegt nämlich im Atemintegral vertikaler und horizontaler Ausatemrichtungen im Zentrum des mittleren Atemraums zwischen Brustbein und Bauchnabel. Dieses Atemintegral bildet sich um das sich absenkende Zwerchfell, wenn dessen Absenkungsbewegung im Einklang mit der gleichzeitigen Aufdehnung der Zwischenrippenmuskulatur steht. Dann entsteht ja eine Vollatembewegung, die sich energetisch über die eigentliche Atemmuskulatur hinaus bis in den Scheitel des Kopfes, die Fingerspitzen sowie die Fußzehen hinein fortpflanzt

Alle Atemstörungen zeigen sich im fehlerhaften Zusammenspiel der Bewegung des Zwerchfells und der Rippen. Der Körperraum oberhalb und unterhalb des Zwerchfells wird durch diese beiden antagonistisch zueinander verlaufenden Bewegungen verbunden, bleibt jedoch bei einer akuten oder habituellen Hoch- oder Tiefstellung des Zwerchfells getrennt. Die Verbindung der beiden Körperräume erfolgt durch einen muskeltonischen Mechanismus, der von einer präsenten Haltung abhängig ist, was überhaupt die Grundbedingung für eine Vollatembewegung ist. Eine gute Gesamtspannung ist engstens mit einer wachen Bereitschaftshaltung verbunden, die als intentionale Sinnesbeziehung im japanischen Zen und chinesischen Tai Ch’i geübt wird.

Die Brustbeinbewegung, an dem die Rippen eingehängt und die Zwischenrippenmuskulatur ansetzt, ist dabei ausschlaggebend. Nur bei Eutonie ist das Brustbein beweglich und kann eine optimale Einatemstellung einnehmen, die entscheidend für den gesamten Atemverlauf ist. Bei guter Spannung kann es etwas nach vorne geschoben werden, wodurch die untere Zwischenrippenmuskulatur so eingespannt wird, dass diese in einen tonischen Gegenhalt zum sich absenkenden Zwerchfellmuskel gebracht ist. Diese muskeltonische Arretierung ist von einer Festhaltung zu unterscheiden. Wegen ihr vermag sich die Zwischenrippenmuskulatur aufzudehnen, während sich das Zwerchfell absenkt. Dadurch wird die biologische Tendenz zu einer Vollatembewegung realisiert.

Nochmals: Diese Einspannung der Atemmuskulatur folgt der Eutonie und ist einer wachen Präsenz zugehörig, zu der wir uns auch in gewissem Maße aufraffen können. Dagegen wird bei einer zu hoher Gesamt- spannung bzw. zwanghafter Konzentration der Brustkorb ausgestellt und bei Unterspannung bzw. lascher Haltung bleibt er eingesunken. Aber auch in die Gesamtspannung sich einfädelnde lokale Muskelblockaden zerbrechen diesen zentralen Mechanismus der Sinnesausrichtung, den die Atembewegung als Tonusphänomen birgt. Kurzum: Die Intentionalität als Grundbeziehung der phänomonologischen Leibphilosophie in der Tradition von Edmund Husserl hat einen Atemgrund.

Nicht nur Fehlatmungen können bei der Verletzung des intentionalen Atemmechanismus entstehen. Von der guten Einatemspannung hängen vor allem alle geweblichen Lösungsprozesse ab, die durch die schwingende Atembewegung getragen werden. Nur in begrenztem Maße kann man an ihr auch technisch manipulativ arbeiten, ohne aber die innere beseelende Atemtranszendenz freisetzen zu können. Tonus ist nicht nur körperlich zweckmäßig für den Stimmgebrauch. Er hat im Sinn der westlichen Atemlehren auch eine personenbezogene Seite, in der sich die Empfindung und das Sensorische manifestieren, denen die Sinnlichkeit und der Sinn folgen.

Durch die Entfaltung der biologisch angelegten Tendenzen zur Vollatembewegung wird die zweiteilige durch das Zwerchfell unterschiedene körperliche Raumsubstanz zu einer leiblich-sensorischen Raumbeziehung. Diese ist nunmehr dreifach gegliedert und dementsprechend durch prägnante Empfindungen unterscheidbar. Wir haben bereits vom mittleren Atemraum zwischen Brustbein und Bauchnabel gesprochen, der sich von einem oberen (Schultergürtel, Kopf, Arme) sowie unteren (Becken, Beine) unterscheidet.

Aus der physikalisch erfassbaren Räumlichkeit, die das Zwerchfell zweiteilt, wird durch ein voll schwingendes Zwerchfell eine sensorisch erlebbare. In diesem Fall wird der mittlere Atemraum um das Zwerchfell erst erschaffen. Die Grenze aller sensorisch unterschiedlich gestimmten Atemräume bestimmt sich durch die Außenbeziehung. Deshalb unterschieden wir bereits die Leibgrenze von der Körperkontur. Die sensorische Grenze ist in den Körper hinein und über ihn hinaus verschiebbar sowie an ihn heranziehbar. Deshalb sind an der erscheinenden Atembewegung alle Momente des Lebendigen ablesbar. 

Der sensorischen Ausrichtung der Sinne folgt die Verschiebung der beweglichen Leibgrenze und umgekehrt. Nur bei Eutonie, sind wir sensorisch über uns hinaus. Den beiden Tonusformen der Flucht und der Abwehr, denen die beiden Grundformen der Affekte, der Rückzug und der Kampf entsprechen, ist kein Transsensus zugehörig. Beim Überempfindlichen bzw. bei dem mit geringer Abwehrkraft ausgestatteten In-sich-gekehrten ist die sensorische Leibgrenze hinter die eigene physikalische Körperkontur zurückgenommen. Und bei dem Unempfindlichen bzw. bei dem mit muskelhartem Abwehrtonus Ausgestatteten ist die Grenze der verschiebbaren Raumsensorik an den Körper angelegt. Dem einen fehlt das Sensorium für den anderen, weil er vom Fremden überwältigt wird, und sich dadurch nur selbst spürt. Bei dem anderen führt das Zusammenfallen von Körperkontur und Leibgrenze zu dem Manko, weder sich selbst zu empfinden, noch den anderen zu spüren.

Der mittlere Atemraum ist der „körperliche Marker“ (Antonio Damasio) für das klare Ja und Nein. Seine Atemfüllung erlaubt Ruhe und spendet Gelassenheit. Er beheimatet die Atemgestalt der Ichkraft, durch die sich das Handeln einer Person zentriert. Bereits bei einem Entscheidungskonflikt fehlt das Atemintegral der horizontalen und vertikalen Ausrichtung. Der mittlere Atemraum ist dann überhaupt zerrissen und es fehlt der eigenständige Atemimpuls in diesem. Und schließlich spielt dieser mittlere Atemraum die Hauptrolle bei der Entfaltung der Atemgestalt Atemmitte, bei der sich Innenraum und Außenraum zueinander im sensorischen Gleich­gewicht befinden. Die gestalthaft gegliederten Raumdimensionen des Atemleibes, zu denen außer der Grenze, auch die Zentrierung und die Richtung als anthropologische Formen gehören, differenziert Atem-Tonus-Ton nicht.

Die Empfindungsprägnanz, die der unterscheidenden Bildung von Atemgestalten dient, und dadurch diese hervorruft und die Person erfüllt, hat in Atem-Tonus-Ton keinen besonderen Stellenwert gegenüber der Sammlungspräsenz mehr und ist in den Status der Körperempfindung zurückgenommen. Denn bei der Körperempfindung bleibt das Ich mit seiner Bewusstseinsorientierung am Rande der Empfindung stehen. In der middendorfschen Sammlung geht dagegen das Ich zugunsten des Erlebens unter. Das Ich ist dann nicht mehr wie in der Körperempfindung dem eigenen Leib entgegengestellt. Die erlebnismäßige Verschränkung von Empfindung und Sammlung ist jedoch für den Erfahrbarer Atem als gesammelte Atemweise konstitutiv.

Selbstverständlich gibt es auch in dem, was wir zur Verdeutlichung unterscheiden, Vermittlungen. Ansonsten könnten die Angelegenheiten der middendorfschen und glaserschen Atemschule gar nicht aufeinander bezogen werden. Doch vorerst soll das Unterscheidende nochmals in der Beziehung von Raum und Zeit benannt werden. Denn wie sich im Raum der Personenbezug konstituiert, offenbart sich in der Zeitlichkeit – wie wir auch noch weiter unten ausführlich zu besprechen haben – erst der Sinn. Dem vital-sensorischen Bezug auf den Innenraum bei Middendorf steht der auf den Außenraum bei Glaser gegenüber. Zu diesen Raumdifferenzierungen verhält sich Atem-Tonus-Ton indifferent. Indem alle drei Atemmethoden mit unterschiedlichen Raumbezügen arbeiten, differenzieren sie sich auch in ihrer Bezugnahme auf die zeitlichen Atemformen, die als Atemfrequenzen aufgezeichnet werden.

Middendorfs Innenraumarbeit zielt zunächst auf eine Zeitlichkeit ab, in welcher die Atembewegung zur Ruhe kommt, wodurch eine Distanznahme eintritt, welche die Gefangennahme durch das Äußere beendet. Glasers Außenraum-Atemarbeit zielt auf das direkte Erarbeiten einer Bereitschaftshaltung, die der Welt offen begegnet und sich primär dem anderen zuneigt, wodurch eine Zeitlichkeit konsituiert, in der Verbindung geschieht. Sowenig Maria Höller-Zangenfeind weder den Innenraum noch den Außenraum zeitlich durch die Atembewegung gliedert, so wenig legt sie Differenzen in der Zeitlichkeit ein. Indem sie mit dem reflektorischen Einatem arbeitet, bleibt diese als Atemweise eintönig unbestimmt. Dadurch trainiert sie allerdings so den Atemkörper, dass dieser wieder einer verbesserten Raum-Zeit-Bildung beim Singen zur Verfügung steht.

Offensichtlich setzt die Methode Atem-Tonus-Ton zunächst gar nicht an der Leiblichkeit an, deren Ansprache wir in den beiden bedeutenden Atemschulen angelegt sehen. Vielmehr biegt sie middendorfsche Übungen in die Körperlichkeit ein. Mit ihrer Reflexmechanismen aktivierenden Tonusarbeit legt sie dabei die gesamte Konflikthaftigkeit still, mit welcher die innere Natur des Menschen ausgestattet ist und auf deren Bewältigung die beiden klassisch gewordenen Atemschulen angelegt sind. Insofern spricht Maria Höller- Zangenfeind zurecht vom Training, ja der Automatisierung des Muskeltonus und der Unterstützung des Tons durch die Muskelkraft der Beine. Bei ihr spielen das Ich und das Bewusstsein eine zentrale Rolle. Man könnte zugespitzt sogar von einer Ichstählung der Stimmführung durch einen funktionierenden Atemleib sprechen.

Was bei einem guten Tonus ansonsten von alleine geht, wenn sich die leibliche Dimension des Verhaltens durch ein sensorisch bündiges Eingepasstsein in die Welt entfalten kann, will Atem-Tonus-Ton erzeugen. Das Setzen einer Spannung und auch eines Drucks sind die technischen Mittel, welche Maria Höller- Zangenfeind einführt, um etwas herbei zu führen, was an sich nicht gemacht werden kann, aber nun doch möglich sein soll und offenbar nicht nur nötig ist, sondern auch gelingt.

Will man den inneren Zusammenhang der drei Methoden ausloten, gilt es dem gravierenden Mangel zu begegnen, dass die Ausbildung bei Ilse Middendorf pur auf die Erfahrung setzt, welche die nur beschränkt dem Wort zugängliche, aber prägnant unterscheidende und darin wertende Empfindung erleben soll. Die vortheoretische Herangehensweise beruht auf unausgewiesenen Vorverständnissen, die aus den letzten Restbeständen der leibmythologischen Ideologie der deutschen Jugendbewegung zehren und im individuell Beliebigen mitgemurmelt werden. Insofern ist es keineswegs zufällig, dass Maria Höller-Zangenfeind allseits mitgesprochene Begriffe wenig durchdacht mit einer eigensinnigen Bedeutung auffüllt.

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Muskelsinne und Tonusregulation
Besprechen wir den fundamentalen Gravitationsbezug der Atembewegung, der in der Tat der Ausgang von Maria Höller-Zangenfeinds Arbeitsweise ist. Unsere Muskelreflexe sind physiologisch gesehen in der Tat eine selbstregulative Funktion der Schwerkraft. Sie dienen dazu, dass wir ohne Beteiligung des Bewusst- seins unsere Aufrichtung gegenüber der Schwerkraft behaupten können. Doch diese an sich animalische Leistung, kann nicht mehr dasselbe wie etwa beim Primaten sein, nachdem das Bewusstsein des Men- schen zwischen den automatischen Reflexvollzug und die willkürliche Muskelbetätigung treten kann.

Die für den automatischen Reflexvollzug verfügbaren nervalen Organe sind Dehnungsrezeptoren (Muskel- spindeln) in den Muskelabschnitten und Spannungsrezeptoren (Golgi-Organe) in den Sehnen. Auch hier sind wir auf eine enge Atembeziehung verwiesen, die in den meisten sensitiven Körper- und Atemarbeiten genutzt wird: passive Dehnung und deren Abart, der Druck, rufen Atem hervor. Die auf passive Dehnung und Druck reagierenden Reflexe sind zwangsläufige, ohne unsere Absicht und unseren Willen ablaufende Vor- gänge. Deshalb können an sie gebundene Lösungen keine eine Angelegenheit des Ichs sein. Westliche Atemkunst bewährt sich darin, diese jenseits des Ichs liegende Dimension der Tonusregulation anzu- sprechen.

Wir wiesen bereits bei unserem Hinweis auf das Selbstverständnis der westlichen Atemarbeit in der Unter- scheidung von Entspannung und Lösung als auch in einer ersten Erörterung des Tonusbegriffs darauf hin: Die Tonusregulation findet auf der Rückseite von willkürlich gesetzten Kontraktionen statt. Indem der dem zusammengezogenen Agonisten gegenüberliegende Antagonist passiv gedehnt wird, kann bei optimaler Gegenspannung beim letzteren die Atembewegung durchfließen. Lösung durch die passive Dehnung kann deshalb der Bewegung innewohnen.

Die durch eine passive Dehnung angestoßene Lösung geschieht aber nur bei einer präsenten Gesamthal- tung, deren Aufbau nur soweit durch eine bewusste Haltung des Ichs befördert werden kann, wie über eine Sinnesausrichtung die eigene Leiblichkeit durch die Person in einer Aktivität eingeholt ist. Als Atemsignum einer Eutonie stellten wir bereits das nach vorne bewegliche Brustbein vor, das ein Zusammenklingen der antagonistischen und synergetischen Bewegungs- und Zugkräfte beim Atmen einleitet. Nerval ist dabei die Tonus-Atem-Regulation durch die Formatio retikularis im Stammhirn angesprochen. Endlich völlig unab- hängig von aller direkter Bewusstseinstätigkeit jedoch ist die periphere Regulation in den Muskeln selbst. Beim Menschen nämlich sind die Dehnungsrezeptionen zu einem besonderen Muskelsinn entwickelt, wes- halb dessen Verhalten umweltoffen und dessen Eigennatur plastisch formbar wird.

Zwar verfügen alle Landtiere über Dehnungsrezeptoren, aber nur die des Menschen sind mit sogenannten Gammanervenfasern ausgestattet. Über diese wird die Funktionsweise der Dehnungsrezeptionen selbst eingerichtet. Durch diese periphere Gammaregulation in den spindelförmigen Dehnungsrezeptoren kann die Empfindung zu einer Variablen der Spannung werden wie umgekehrt die Spannungsgrade den Empfindungs- maßen entsprechen. Je höher die Spannung desto geringer ist die Empfindlichkeit, was im Exrem des ab- wehrenden Muskelpanzers sprichwörtlich geworden ist. Einer hohen Empfindlichkeit liegt eine wenig robuste Muskulatur zugrunde. Wegen dieser dezentralen Nervenregulation in den eigenen Muskelspindeln ist dann nicht mehr nur der sogenannte Reflexbogen zwischen Rezeptor und Rückenmark das Entscheidende. Die variable Empfindung gewinnt einen Erfüllungscharakter, wodurch automatischer Reflexvollzug und zentraler Bewegungsbefehl eine Erlebniseinheit bilden. Dazwischen kann nun die Bewusstseinstätigkeit des Men- schen treten.

Das Seelisch-Geistige wie wir es als Mitwelt innerhalb der sensorischen Beziehung von Innen- und Außen- raum schaffen, bekommt wegen der eigenständigen Regulation der Muskelsinne einen Atemort. Ohne dass wir mit dem Willen kontrollieren und mit dem Kopf beiwohnen, können in einzelnen Muskelgruppen die ent- sprechenden Resonanzbeziehungen dieses leiblichen Verhältnisses durchschlagen. Die in die Schwerkraft- beziehung eingebundene Atembewegung wird nun endgültig zum Integral der Muskelsinne sowie Mit- oder Gegenspieler des Bewusstseins, das demnach nicht mehr und nicht weniger das personal geformte Ver- hältnis des Gesamtorganismus zu seiner Umwelt ist, aktiv-passiv, sensorisch-informatorisch.

Nicht zuletzt auch wegen diesem bewusstseinstheoretischen Aspekt der Atembewegung ist die Lösung durch passive Dehnungen und Druck von der Lösung durch die durchfließende Atembewegung zu unter- scheiden. Das Fluidum des Atems in seinem Transzendenzcharakter ist mit dem letzteren gemeint. Das feine Durchströmen schafft nämlich durch die middendorfsche Übungsanlage vorbereitete Atemgestalten, die in der biologischen Tendenz zur Vollatembewegung angelegt sind und die den Menschen in eine existen- tielle Situation stellen. Die Ansprache der Reflexe in der sensitiven Bewegungsarbeit schafft nur Raum für die Atembewegung, die sich durch eigene Impulse ankündigt, die frei zu geben sind. Ilse Middendorf spricht von der „Bewegung aus dem Atem“, was das menschenkundliche Ziel ihrer Arbeit ist.

Durch die Gammaregulation der Dehnungsrezeptoren und über die Muskelsinne begründet sich ein eigenes vom Ich unabhängiges und in der Animalogie der Atembewegung aufgehobenes Wertungssystem der Per- son. Dieses ist leiblicher Natur und verknüpft uns mit der Geselligkeit. Es soll von der middendorfschen Atemarbeit durchgeklärt und in der glaserschen Psychotonik als Intention zum Sach- und Personenbezug sowie zur Wesensfindung durchstrukturiert werden. Diese leibliche Wertung der Person ist dadurch bio- grafisch gewachsen, indem das Ich durch Entwicklungskonflikte hindurch gegangen ist, was sich zunächst in muskeltonischen Reizmustern niedergeschlagen hat, wodurch nach den Kriterien wichtig und unwichtig sowie bekannt und unbekannt muskeltonische Determinationen des Verhaltens eingerichtet werden. Über diesen körperpsychotherapeutischen Sachverhalt hinaus ist die Biografie in einer dem Ich unverfügbaren Animalogie der Atembewegung aufgehoben. Dieses differenziertere Wertungsgefüge wird nach dem Reso- nanzprinzip des seelisch-geistigen Informationsaustausches aktiviert. Begründet sich im Verhältnis von Psychoanalyse und Muskeltonus die Körperpsychotherapie, so konstituiert sich der Gegenstand einer Atempsychologie im Verhältnis von Atembewegung und Information.

Umweltoffenheit und Plastizität des menschlichen Organismus sind die anthropologischen Stichworte, deren Bedeutung in unseren Überlegungen mitverpflichtet ist und die überhaupt ihre gebührliche Präzision im Atemstoff erhalten. Demnach verhalten wir uns nicht nur sensorisch nach außen. Über die physikalischen Kriterien des Resonanzaustausches der Affinität und Selektion kehrt außerdem die fremde Außenwelt in die eigene Innenwelt ein. Durch dieses „In-sein“ (Martin Heidegger) kann sich die Innenwelt erst formen, indem sich der Widerspruch zwischen der hereingenommenen Außenwelt zu einem unbekannten Innern entfaltet. Aus dieser unaufhebbaren Konflikthaftigkeit entstehen „alle Probleme der Seele“ wie Arnold Gehlen, einer der Begründer der Anthropologischen Philosophie, betont.

Man könnte auch mit dem Frühromantiker Novalis sagen, dass der Sitz der Seele immer an jenem „Punkt“ ist, wo das Innen und das Außen sensorisch aneinander geraten. Es ist zu vermuten, dass dieser Informa- tionsaustausch an den  Akupunkturpunkten stattfindet, die durch ihre eigene Morphologie der Zylinderform über eine besondere thermische und elektrische Leitfähigkeit verfügen.

Das Wesen der Seele ist in der Animalogie der Atembewegung zu suchen. Einmal beherbergt diese das Kardinalthema der Innerlichkeit: das Beseeltsein gepflegter Ausdrucksgestaltung. Wegen der peripheren Atemsteuerung kann nicht nur, was unser Ich mit dem Körper beabsichtigt, im Leib widerhallen und dort auch einen Rückhalt finden. Umgekehrt kann die atemgelöste Leiblichkeit mit ihren eigenen Bedürfnissen an das wahrnehmende und beabsichtigende Ich appellieren. Folgt das Ich nicht dieser personalen Wertung durch den Leib, kann sich dieser versteifen und schließlich gar an dem Punkt drastisch melden, wo der zweckhafte Körpereinsatz zerfällt und kein Pieps mehr geht.

Damit deutet sich auch die Unbarmherzigkeit des in der menschlichen Natur selbst begründeten und durch keine bessere sozial-kulturelle Außenwelt unaufhebbaren Fundamentalkonfliktes an. Die Gesellschaft klingt sich in die vital-sensorischen Atemgestalten nur ein, um über sie wird das natürliche und das soziale Band des Lebens miteinander zu verknüpfen. Dieser Verknüpfung näheren sich die middendorfsche und glasersche Atemschule von der durch ihre Arbeit jeweilig präferierten Raumdimension.

Wegen der anthropologischen Annahme einer unaufhebbaren Konflikthaftigkeit der menschlichen Natur ist jeder optimistischen Anthropologie zu widersprechen. Es gilt hierzu die enge Verflechtung von Person und Leib von der Beziehung Ich und Körper zu unterscheiden. Das Ich vermag sich so lange opportun nach so- zial-kulturellen Werten auszurichten und bei gelungener Einsozialisation in eine gesicherte Lebenswelt so lange im Einklang mit dem Leib befinden, als nicht unauflösbare ethische und moralische Konflikte ent- stehen, die es sind, welche das Verhältnis von Ich und Person ins Zerreisen bringen. Das Gewissen ist dabei nichts anderes als die leibliche Stimme, die dem Ich mitteilt und zu folgen befiehlt.

Das Gewissen kann aber nur in dem Maße zu einer mächtigen Stimme werden, wie die Person über einen in der Welt gesättigten Wertehorizont verfügt, der über die individuelle Empfindlichkeit hinausweist und ihm einen „großen Atem“ verleiht. Ansonsten legt sich die Empfindung als weibliche Rationalität doch nur das zurecht, was in einer kleinteiligen Welt stimmig ist. Nur wer den Appell seiner inneren Stimme gegen äußere Widerstände auszufechten vermag, hat Charakter.

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Antwort auf dentale Kunststoffbelastungen
Die aus einem praktischen Bedürfnis entstandene Methode Atem-Tonus-Ton bietet sich zunächst als sinnvolle Pragmatik an, die Körpertechniken mit dem reflektorischen Einatem verbindet, wodurch der Atem der Spannung genügen kann, die durch den Ton angefordert wird. Aber weshalb erscheint die Umformung von middendorfschen Arbeitsweisen gerade auch für solche geeignet, die mit dem Erfahrbaren Atem vertraut sind. Was wirkt für Middendorf-Atemlehrerinnen so positiv, obwohl auf die im Erfahrbaren Atem erarbeiteten Differenzierungen mit ihren weitreichenden anthropologischen Bedeutungen verzichtet wird, die für den beseelten Stimmausdruck grundlegend sind?

Wenn wir so fragen, haben wir eine Antwort im Hinterkopf, deren Grundlegung zunächst nicht aus dem Atemgebiet selbst, sondern aus dem Erfahrungsbereich der Alternativmedizin stammt und durch die Atem- arbeit bestätigt werden konnte. Wir meinen die Störung der Atembewegung durch kunststoffhaltige Zahn- werkstoffe. Diese werden zunehmend seit Mitte der achtziger Jahre, nachdem das Amalgam verrufen wor- den war, und inzwischen auch wegen kassenrechtlicher Regelung flächendeckend eingesetzt. Maria Höllers Arbeitsweise ist eine übende Antwort darauf, dass wegen dentaler Belastungen nicht nur viele Subtilitäten der middendorfschen Atemlehre uneinlösbar sind, sondern mitunter bereits einfache Einsatzmöglichkeiten zum Tonusaufbau versagen, weil die Kunststoffbelastung eine optimale Einatemspannung des Brustbeins gravierend stört.

Dentale Kunststoffbelastungen zeigen sich direkt als eigenartige Spannungen im Kopf-Schulter-Bereich, welche die gesamten geweblichen Spannungsverhältnisse verzerren, was durch langjährige Atemerfahrung nur kompensiert, nie jedoch aufgehoben werden kann. Dieser Tonusverzerrung folgen Rigiditäten des Zwerchfells und der Zwischenrippenmuskulatur, weshalb die antreibenden, energetischen und dynami- schen Atemdifferenzierungen der Stimme, keinem außerordentlich beseelten Ausdruck mehr zur Verfügung stehen. Der Ausatem wird verkürzt, wodurch sich im Singen selbst noch einmal die dentalen Belastungen als Spannungsverzerrung festschreiben können, weil die subtileren Lösungsprozesse durch die Atembe- wegung selbst behindert sind.

Besonders bei durchlässigeren Menschen geht die tonische Reagibilität der Atembewegung durch dentale Kunststoffbelastungen verlustig. Und überhaupt werden die selbsttätigen Lösungsprozesse durch die Atem- bewegung selbst eingeschränkt, die im jeweiligen Tun mitlaufen, wenn ihm die geweblichen Spannungs- verhältnisse elastisch angemessen werden können. Beim Gesang leidet die Intensität des Legato, wenn die Variabilität der Zwischenrippenmuskulatur eingeschränkt ist. Deshalb fehlt bei dentalen Kunststoffbelas- tungen diese innere Linie, die das Geheimnis einer hohen künstlerischen Leistung ist, die sowohl hinreißt, weil sie überschwingt, als auch gefällt, weil sie im Maß ist. Überschwang zeigt sich im Atem als Brust- betonung und das Maß, durch die Bindung der Horizontalität der Atembewegung in der Vertikalität.

Uns genügt also nicht nur die klare kehlfreie Aussprache und ein schöner resonanzreicher Klang, die eben- falls durch dentale Belastungen leiden. Unsere Frage führt uns auf eine Dramatik, die auch noch gar nicht voll erfasst ist durch eine diesbezügliche Bemerkung der großen Liedinterpretin des vergangenen Jahr- hunderts. Elisabeth Schwarzkopf hört an den versteiften Vokalen, ob ein Sänger gegenwärtig eine Zahn- spange trage oder – damit nicht genug – früher die Zähne habe regulieren lassen. Usus war es schon lange, dass an den Kunsthochschulen auch die Adressen von Zahnärzten weitergegeben worden sind, welche mit Resonanzmethoden die Biokompatibilität abglichen. Kritisiert wird, dass in den energetischen Messkonven- tionen das ganze Ausmaß der Problematik noch nicht erfasst wird.

Wer es versteht, kann heutzutage diese dentalen Belastungen als Massenerscheinung erkennen. Sie sind an den weitverbreiteten Plastiggesichtern zu erkennen, denen eine ausdrucksvolle Gesichtsmimik fehlt. Die Mitbewegungen unter den Augen, neben der Nase und über dem Mund erscheinen außerordentlich verarmt. Oftmals seltsam festgehaltene Kiefer sind zu besichtigen. Man sieht im Fernsehen zwar bei langweiligem Ausdruck ausgeleuchtete, aber selten ausstrahlende Gesichter. Das vielstimmige Mienenspiel, bei sich der Ablauf eines inneren Filmes in den muskulären Schwingungen des Gesichts zeigt, ist bei kunststoffbelas- teten Dentalmaterialien unmöglich geworden.

Der Kunstgesang oder der rhetorisch gekonnte Vortrag oder auch die einfache Rede und Ansprache voll- endet den Stimmgebrauch, wenn die Mimik ihm zugehört. Auch dies ist ein innerster Zusammenhang, den die middendorfsche Vokalraum-Arbeit ausweist. Die Mundformung und die Zungenstellung korrespondieren mit strukturgesetzlichen Atemformen, weshalb es aufgrund der Atemenergetik keine gemachte Mimik gibt, die auf den Ton zu setzen ist, sondern die Gesichtsmimik wie die freigewordene Gebärde lediglich die Lautierung in ihrer Beseeltheit sichtbar werden lässt. Weil aber all das nun meist fehlt, hat man flächen- deckend eine Pantomimik der Gestikschulung eingerichtet. Das Fernsehen ist inzwischen so weit, dass außerhalb des Gesichtsfeldes der Kamera, sich im Raum Vorgestikulierer aufhalten, denen nun der Redner nacheifern soll. Anmut kommt kaum zu Ausdruck, gemachte Geschäftigkeit sehr wohll. Die gemachten Mitbewegungen sollen den leerlaufenden Nichtsnutz vieler Reden verbergen.

Das Gesicht spiegelt die Gesamtspannung wider, weshalb für den kundigen Atemlehrer an ihm zerbrochene Atemintegrationen ablesbar sind. Keine Belastung ist in ihrer Lokalität isoliert. Der Organismus realisiert das holistisches Prinzip, wonach in jedem Punkte das Gesamt drinne steckt. Dies verdankt sich der ener- getischen Natur der Atembewegung, wegen der eine lokale Belastung zu eigenständigen Störfelder in ande- ren Körperbereichen auswachsen können. Die Stirn korrespondiert energetisch mit dem Kopf, dem Schulter- gürtel und den Armen (oberer Atemraum). Der mittlere Gesichtsbereich mitsamt den Ohren entspricht dem Spannungsgefüge zwischen Brustbein und Bauchnabel (mittlerer Atemraum). Und der Mund-Kieferbereich kommt der Tonusbeschaffenheit im Becken und den Beinen (unterer Atemraum) gleich.

Was oben wegen der dentalen Kunststoffbelastung zuviel an Spannung ist, wird von unten abgezogen. So wird durch dentale Kunststoffbelastungen die Spannung im Lendenwirbelsäulen-Bereich geschwächt, wes- halb auch die Integration von tönender Ausatemspannung und Einatemreflexen beschädigt ist. Manchmal ist durch dentale Kunststoffbelastungen sogar völlig die energetische Verbindung zwischen Becken und Wir- belsäule unterbrochen, wodurch der Atemantrieb von unten fehlt, was ein Signum der Depression ist. In der Atemarbeit zeigt sich diese Beeinträchtigung, wenn vitalisierende Übungen (Beckenkreis oder Wirbelbeuge) an der unteren Wirbelsäule Schwierigkeiten hervorrufen können. Eine Kollegin musste gar erleben, wie des- halb ein Bandscheibenvorfall ausgelöst wurde.

Zwar kann vieles Üben am Atem abschleifen, aber stabil bleibt dies nicht, geschweige denn, dass ein un- willkürlicher Atemfluss auch eingelebt werden kann, wenn er schon frei geworden sein sollte. Die midden- dorfsche Raumbildungsarbeit ist von vornherein durch Kunststoffbelastungen beeinträchtigt, weil die Aus- atembewegung gar nicht mehr voll ausschwingt, weshalb diese oftmals wegen zu geringer Aktivität der Zwischenrippenmuskulatur gar nicht mehr empfunden wird oder die Einatembewegung sich im Becken aufstaut. Auch andere sensitive Körper- und Atempraktiken bis hin zum Yoga und Tai Ch’i laufen wegen dentaler Belastungen nach anfänglichen Erfolgen oftmals nicht nur ins Leere, sondern können auch aus- gesprochen kontraproduktiv sein.

Mit der Zeit entwickelt sich zwar durch all diese Praktiken eine höhere Durchlässigkeit, aber keine muskel- elastische Atemkraft, die dieser Durchlässigkeit entspricht. Deshalb verstärkt sich nicht nur die beschrie- bene Dysharmonie in der gesamtmuskulären Tonusverteilung. Der Atembewegung droht schließlich gar, die tonische Reagibilität zu verlieren, was bei zu hoher Durchlässigkeit Standpunktverlust und Kontaktarmut hervorruft.

Wenn durch Kunststoffbelastungen bei dünnhäutigeren Menschen der Atem nur noch vegetativ verläuft, weil die tonische Elastizität verringert, ja erstarrt ist, so schlägt dies selbstredend bis in den eigentlichen Kern der middendorfschen Atemerfahrung durch. Gedankenrauschen durchbricht die Sammlung auf die Empfin- dungen. Das unmittelbare Aufgehen in die Situation des Übens und der Atembehandlung fällt wegen dieser dentalen Belastung bei vorhandener hoher Durchlässigkeit besonders schwer. Das Ich kann es gar nicht lassen, sich dem eigenen Leib beobachtend entgegen zu stellen. Auch das Üben mit dehnenden Bewe- gungen ruft eher weiterschwingende Unruhe hervor als dass sich etwas wirklich reguliert.

Wenn in der Atembehandlung wegen dentaler Kunststoffbelastungen besonders nicht oder nur schlecht jene Empfindungen mehr erlebt werden können, die beim Ausatmen entstehen, entsteht eine selbstbeobach- tende Achtsamkeit, die in ihrem Mangel an Hingabe überanstrengt und deshalb schnell ins Auftreiben des Unbewussten umkippt. Gedankenrauschen entsteht. Wenn dann statt des Einlassens in den eigenen Atemfluss, sich etwa an die Beziehung zum eigenen Vater erinnert wird, zeigt sich die Sammlungs- schwäche als Zerrüttung der sensorischen Leiblichkeit - als Kontaktsperre.

Entstehen derartige Übertragungssituationen, die sich auch bei Kunststoffbelastungen vermehrt im kom- munikativen Alltagsverhalten breit machen, ist ein effektives Behandeln, das mehr als Austeilung von Wohl- fühlstreicheleinheiten sein will, nur in eingeschränkten Maße möglich. Eine derartige Übertragung ist jedoch nicht primär dem Sachverhalt geschuldet, dass etwa der Atembehandler den nur in Distanz erlebten Vater vertritt und sich dadurch ein Projektionsgewitter entlädt. Vielmehr ist es nach der Erfahrung des Autors durchgängig die Zerrüttung des Muskeltonus durch Kunststoffe, das jene seelische Rigiditäten erst hervorruft, die vermehrt zu Übertragungen in der Atembehandlung führen.

Den heutigen Kunststoffbelastungen kann selbstredend nicht durch Psychologisierung der Atemarbeit abgeholfen werden, die das verstehende Ich einsetzt und die Atemarbeit zu einer weniger effektiven Variante der Körperpsychotherapie werden lässt. Man hintergeht bei dieser Absicht endgültig das, was der eigent- liche Gewinn der westlichen Atemschulen ist: Nämlich den Menschen in der Immanenz der „phänomenalen Situation“ (Edmund Husserl) anzutreffen. Diese zeichnet sich darin aus, dass in ihr nicht mit dem trans- zendentalen Ich dem eigenen Leib gegenübergetreten wird. Das volle Aufgehen von Atembehandler und Atemschüler in der vital-pathischen Sphäre der Behandlungssituation ist das Besondere, das kein Sinn- verstehen der klassischen Tiefenpsychologien einzuholen vermag.

Nicht die Empathie oder das Versehen ist der eigentliche Kern der westlichen Atemschulen, besonders der middendorfschen Atemerfahrung. Diesen nachhaltig in einem pädagogisch-therapeutischen Prozess zu realisieren, wird bei dentalen Kunststoffbelastungen (meist) misslingen. Nur höchst versierte Atembehandler vermögen unter diesen Bedingungen noch gelegentlich die Person im Atem aufzurufen, jedoch selbst dies leidet unter dem Manko, dass dadurch selten beständige Wandlungen eingeleitet werden können.

Die Auswirkungen von dentalen Kunststoffbelastungen auf die Atembewegung sind in den Kreisen der Atemlehrer zwar bereits bemerkt, aber doch nur vordergründig psychologisch aufgefasst worden und die Atemarbeit darin kritisiert worden, dass sie gar nicht wirksam sei, wenn nicht die Psychologie hinzukäme. Doch damit hintergeht man nicht nur das leibtheoretische Anliegen der Atemarbeit, sondern macht man nur ein neues, bodenloses Fass auf. Bedeutendes entdeckt und mitgeteilt wurde bislang auch deshalb nichts, weil es gar keine kurze Wege zwischen Psychotherapie und Atemarbeit gibt.

Vielmehr gilt es dieselben zahnmedizinkritischen Fragen auch gegenüber der Wirksamkeit der Psycho- therapie zu stellen. Wenn psychische Konflikte gar nicht mehr optimal verarbeitet werden können, weil dentale Belastungen vorliegen, sind berechtigte Zweifel darum angebracht, wie weit Kopfgeburten tragen und letzten Endes nur tiefsinnige Nacherziehungsprogramme im behavioristischen Geist ohne leibliche Tiefenwirkung darstellen. Ein Erfolg der Psychotherapie, der sich auch in einem dauerhaften Wandel der tonischen Grundstruktur zeigt, dürfte kaum bei gravierenden Dentalbelastungen festzustellen sein. Zwar haben sich längst die geschichtlichen Inspirationen der großen Tiefenpsychologien erschöpft, die das Seelische in einer kultur-, zivilisations- und gesell- schaftskritischen Erzählung zurückbanden, aber ein schleichendes Entleertwerden erfahren die ihnen folgenden und in ihrer Methode ausgereiften Therapien längst durch die Zahnmedizin.

Das Resonanzphänomen im Atem jedoch führt uns dagegen zu Belastungen durch seelisch-geistige In- formationen, die es im konkreten Atemverlauf zu identifizieren gilt. Was uns ein Resonanzabgleich nach den Stimmigkeitskriterien des Zutreffens, des Zusammenpassens und Entsprechens offenbart, führt uns an den leiblich-sensorischen Wertungspol der Seele, welcher dem kulturellen gegenüberliegt. Zwischen beiden spannt sich die Atembewegung als lebendiger Sphärenbildner aus. Was wir in unserem Leib als Zusam- menbruch der Ichkraft oder der Zerfall des Hintergrundraumes erleben, wird deshalb als hochindividuelle Ereignisse zugleich zu einer „sozialen Tatsache“ (Emilie Durkheim).

Es sind nie Bakterien allein, die etwa Karies hervorrufen, oder eine Demineralisierung erzeugen, die plötzlich eine Zahnkrone absprengt. Belastungen durch seelisch-geistige Informationen sind es, die ein Milieu mit- schaffen, wodurch entzündliche oder degenerative Zahnerkrankungen möglich werden. Das haben nicht zu- letzt zwei Jahrzehnte Forschungsarbeit durch den Karlsruher Heilpraktiker Friedrich Ochsenreither offen- gelegt. Seelischer Konflikt und dentale Belastung sowie Kopfherde und Störfelder gehen ineinander über. Was führt aber in der Tiefenpsychologie noch weiter, wenn doch nicht tief genug bohrt und eine Zahn- sanierung oftmals jene leiblichen Symptome beseitigt, die einer seelischen Störung oder gar geistigen Erkrankung zugrunde liegen?

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Das Problem der Heilhindernisse
Wenn man das Thema „Atem-Tonus-Ton“ auf die Tonusverzerrung durch Zahnwerkstoffe focusiert, bekommt man in den Blick, wie vielfältig diese als Heilhindernis wirken. Vor allem die Elektroakupunktur nach Voll hat seit den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts besonderes Augenmerk auf diese Frage gelegt. Nicht nur das Amalgam, sondern sämtliche zahnärztliche Wertstoffe wurden von ihr auf den Prüfstand ge- stellt. Außerdem wurde von ihr die Belastung durch devitalisierte und entzündete Zähne an den hierfür ausgezeichneten Messpunkten eruiert, die sie ebenfalls als Risikofaktoren für die Gesundheit und Auslöser von Funktionsstörungen und Erkrankungen erkannte.

Die Elektroakupunktur zog einen weiten regulationstherapeutischen Rahmen und integrierte die verschieden- sten regulationstherapeutischen Ansätze der Homöopathie und die Naturheilkunde. Sie belebte die Isopathie und entdeckte die Wirkung von Mineralien, Schüsslersalzen, Vitaminen und Enzymen. Auch geopathische Belastungen lernte sie durch die Entwicklung ihrer elektrophysiologischen Messkunst auszutesten. Getes- tet wurde der Spannungsverlauf von auf Akupunkturpunkte gesetzten elektrischen Impulsen, wobei auch die ausgewählten Medikamente in den Resonanzkreis eingegeben und durch einen Resonanzabgleich bestätigt werden.

Dabei ist die Elektroakupunktur zunächst deshalb für unsere Atem-Tonus-Ton-Fragestellung interessant, weil sie in ihrem Verfahren zwei Wandlungslehren von Information in Energie, nämlich die Homöopathie und das Tao, miteinander vermählte. Dadurch wurde die klassische Homöopathie in eine Testhomöopathie über- führt. Diese geht nun nicht mehr repetitorisch im komplizierten Bestimmen des Arzneimittelbildes vor, son- dern bekommt nach dem Resonanzprinzip durch den besseren Fluss des Ch’i bestätigt, was das geeignete Medikament ist. Die Messkunst der Elektroakupunktur hat die neuere Entwicklung des einfachen Austes- tens nach dem Resonanzprinzip angestoßen, die inzwischen vielfältige Ausfaltungen (Biotensor, Lecher- antenne, Kinesiologie, Vegatestung, Blut- und Haaranalysen) erfahren hat.

Indem die Elektroakupunktur die informatorische Wirkung des homöopathischen Medikaments auf das Ener- getische nutzt, hat sie darüber hinaus das Atemherz einer modernen Alternativmedizin begründet. Das fließende Ch’i symbolisiert Atembewegung. Man darf sich gut auf der Zunge vergehen lassen, was uns die Ch’i-Beeinflussung der Kur der Elektroakupunktur nahe legt und auch die Erfahrung des Atemlehrers be- stätigt. Homöopathische Medikamente wirken unübersehbar auf die Atembewegung, falls der Organismus genügend resonanzfähig ist.

Folgende Ordnung gilt dabei. Die LM- oder Q-Potenzen in ihrer 50.0000-fachen Verdünnung wirken sichtbar auf biografisch eingeschliffene Zwerchfellrigiditäten und Fehlstellungen dieses Hauptatemmuskels. Die 100-fach verdünnten C-Potenzen wirken auf den Atem bei aktualisierten Konflikten, und Fehlverhaltens- weisen sowie akuten Infekten. Sie schaffen Integrationen zwischen der Vertikalität und Horizontalität. Und die in 10ner-Schritten verdünnten D-Potenzen wirken auf die Formbildungen, die als Atemgestalten in strukturgesetzlicher Natur die Atembewegung gliedern.

Unsere weitgedehnte Frage um die Bedeutung der Methode Atem-Tonus-Ton berührt demnach das Atem- herz der Alternativmedizin. Es liegt auf der Hand. Dentale Kunststoffbelastungen vermindern oder zerstören die Resonanzfähigkeit der Atembewegung für das homöopathische Medikament und lassen auch dieses oftmals kontraproduktiv wirken. So gesehen wundert es nicht, dass auch eine neuere, nunmehr 5 000 Patienten einbeziehende Studie zur Wirkung der Homöopathie verheerend ausfiel, nachdem eine noch in den späten neunziger Jahren von der Boschstiftung finanzierte Untersuchung zu Kopfschmerzpatienten ebenso wenig der Homöopathie schmeichelte: Damals wurde sogar aus der Gruppe derjenigen, die das homöopathische Mittel in der Doppelt-Blind-Studie, also nicht das Placebo erhielten, statistisch relevant von einer Zunahme des Leidens berichtet.

Der berichtete Sachverhalt, wonach das verabreichte Homöopathika sogar das Leiden verstärkte, sollte hell- hörig machen. Indem der Atemlehrer fragt, stößt er von seiner Sichtweise auf den heilkundlichen Erfahrungs- horizont der Elektroakupunktur. Auch von da aus wird durch Kunststoffbelastungen etwas defizient. Ebenso wie in der Atemarbeit können durch die Homöopahtie die weitreichenden Möglichkeiten nicht mehr eingelöst werden. Außerdem ist auch wegen Kunststoffbelastungen eine Kontraproduktivität der Mitteleinnahme festzustellen.

Der aufmerksame Atemlehrer beobachtet seit langem das Phänomen, dass Informationsimpulse der verord- neten Mittel sichtbar gegen die Verspannungen im Hals-Kopf-Schulterbereich anrennen und sich diese gegen den Ansturm verfestigten, weil sie unterhalb der belasteten Körperpartie nur eine momentan höhere Durchlässigkeit hervorriefen. Wegen der dentalen Blockade wird deshalb durch die Mitteleinnahme nur eine unspezifische Unruhe erzeugt, die zwar ein zeitweilig verändertes Befinden hervorruft, letzten Endes aber doch nur die psychologisierende Illusion nährt, dass sich etwas täte.

Die Wirksamkeit eines homöopathischen Mittels auf die Atembewegung kann bereits beobachtet werden, wenn es treffsicher ausgetestet nur in die Hand des Behandelten gegeben wird. Denn das homöopathische Mittel wirkt – wie uns die Testhomöopathie lehrt – informatorisch in einer Resonanzbeziehung und muss nicht erst eingenommen werden. Damit ist für den Atemlehrer auch die Möglichkeit einer Diagnostik mit Hilfe von Atemresonanz gegeben. Sie übersteigt weit die Möglichkeiten der herkömmlichen Methoden der Testhomöopathie, die mit Hilfe von Geräten, Instrumenten oder auch des kinesiologischen Muskeltest bzw. des eigenen Leibes einen Resonanzabgleich vornehmen. Für die letztgenannte Möglichkeit spielt die jahre- lang geschulte Sammlungsklarheit und Empfindungsprägnanz des Atemlehrers eine entscheidende Rolle. Auch dessen Freiheit von dentalen Belastungen ist vorausgesetzt, damit sich eine pädagogisch-therapeuti- sche Sphäre entwickeln kann, in der die atemanregenden Informationsimpulse während der Arbeit mit der Hand überspringen können – es also zu einem wirklichen Atemgespräch kommt.

Selbst ein therapeutischer Übergang steckt in derartiger Diagnose, wenn zum Beispiel die in der Elektro- akupunktur und der alternativmedizinischen Heilpraxis genutzte Nosode für einen devitalen und wurzelbe- handelten Zahn einer depressiven Patientin in die Hand gegeben wird. Das konnte sich in einem besonderen Fall deshalb als ein außergewöhnlicher Volltreffer erweisen, nachdem das Eingewickeltsein dieses Kopf- herdes in Belastungen durch seelisch geistige Information mitsamt seinem energetischen Störfeld-Nieder- schlag ausgetestet werden konnte. Die Dentalbelastung im ersten rechten oberen Schneidezahn war in typischer Weise mit einem Vaterkonflikt verwickelt, der das Atemzentrum betraf, das über dem Becken- boden auf der Höhe der Wirbelgelenke zwischen den Leisten lag und ebenfalls in systematischem Sinn aus der indischen Lehre als Wurzelchakra bekannt ist. Die bloße Mitteilung der ausgetesteten Information „unerbittlicher Vater“ durch mich stieß bereits die Regulation an. Bei dieser hoch depressiven Patientin konnte sich im Verlauf dieser Behandlungsstunde eine Vollatembewegung entwickeln. Das wäre allerdings nie möglich gewesen, hätte der Therapeut selbst einen devitalen Zahn im Mund gehabt.

Sind Kunststoffe im Mund und gibt man ein für die Person angezeigtes homöopathisches Konstitutions- mittel in die Hand des Atemschülers, so ist in der Atembehandlung durchgängig nur eine kleine Wirkung festzustellen, die kaum durchschlagskräftig genug ist. Die Tonisierung verbessert sich leise, wodurch das Brustbein etwas beweglicher wird, ohne dass eine etwas vorhandene Zwerchfellrigidität dadurch angegriffen wer- den könnte. Eine gesteigerte Atemwirkung wird dagegen erzeugt, gibt man ein dynamisch potenziertes Mittel hinzu, das die Kunststoffbelastung auszugleichen vermag. Dadurch verbessert sich regelmäßig der Gesamttonus und die unteren Rippen beginnen sich oftmals, wenn auch nur sachte aufzudehnen.

Reduzieren dentale Belastungen nicht die Resonanzfähigkeit des Atemleibes auf ein Minimum oder sind solche durch eine Zahnnosode ausgleichbar, so kann eine erstaunliche Atemwirkung eines zutreffenden homöopathischen Medikaments erlebt werden. Ist es nur in die Hand des zu Behandelnden gegeben, wird die Ansprache durch die Hand und die Person des Atembehandlers unterstützt. Vor der Zahnsanierung noch gar nicht sichtbare Spannungen können in der Kombination Atembehandlung und Homöopathie erstaunlich schnell weichen.

Und nicht zuletzt sind wir auch auf diese schlummernden Potenzen einer energetischen Alternativmedizin, die ihren Auftakt durch die Elektroakupunktur gefunden hat, durch den Arzt und Atemlehrer Volkmar Glaser verwiesen. Glaser hat seine Psychotonik so eng an die Meridianlehre gebunden, dass auf dem Atemsektor selbst schon längst ein Beitrag vorliegt, der in seiner weitreichenden Bedeutung nicht unterschätzt werden kann. Er stellt die Strukturprinzipien der Meridianlehre in einem feldtheoretischen Kontinuum von Körper und Seele dar, indem er deren Leiblichkeit offen legt.

Haupt- bzw. Organmeridiane liegen auf gelenkübergreifenden Muskelketten. Glaser hat deshalb in den Meri- dianen Sinnhaftes entdeckt, weil sich diese in Haltungen umsetzen lassen, die sechs motorische Prinzipien der Ichbildung fundieren. In dieser Klarheit und Eindeutigkeit die Ichqualitäten der Motorik zu formulieren, ist bislang keiner bekannten Bewegungs- und an ihr orientierten Entwicklungslehre gelungen. Es existiert keine Partialbewegung, die nicht der Struktur dieser durch die Hauptmeridianverläufe charakterisierbaren Bewe- gungen zugehörig ist. Hauptmeridiane stellen Träger gestischer Handlungen dar, die mit Yangqualität aktiv oder Yinqualität passiv Veränderungen in der Umwelt veranlassen.

Über die Sondermeridiane reguliert sich das Befinden im Raum. Ihre Gliederung entspricht den Subsys- temen der muskulären Tonussteuerung durch die Formatio retikularis: der Wachheit, der Aufmerksamkeit und der Erinnerung. Kurzum: Der Gegliedertheit des Meridiansystems ist eine dialektische Unterscheidung zwischen willkürlichen Körperhandlungen und unwillkürlichen Verhaltenszuständen inhärent. Wir wissen bereit: Wie Bewegungen aussehen geht aus der leiblich konsolidierten Dynamik der unbewussten Verhal- tensweisen, der Zustandsbefindlichkeit, hervor. Nunmehr aber kennen wir auch die in der taoistischen Meridianlehre erkannten Strukturprinzipien.

Noch immer glaubt der Großteil der Mediziner und Psychotherapeuten, dass die Tätigkeit der modernen Zahnmedizin nichts mit den Funktionsstörungen und Erkrankungen ihrer Patienten zu tun habe. Auch die Psychotherapie ist mit einer außerordentlichen Zunahme von neuen narzisstischen und schizoiden Stö- rungen konfrontiert, die mit einer beunruhigenden Unfähigkeit zur Selbstempfindung gepaart ist. Die zahn- medizinische Vorsorge ruft auch die Aufmerksamkeitsstörungen von Kindern oder legasthenische Schwä- chen sowie Dyskalkulie hervor, die in den vergangenen Jahrzehnten ebenfalls rasant angestiegen sind. Denn Kunststoffe im Mund hemmen die leiblichen Integrationen der komplex zu verschränkenden Gehirn-Körper- Seitigkeit eines Menschen, die im Alter von zwölf bis dreizehn Jahren ihren ersten Abschluss findet und nach dem großen russischen Psychologen und Psychoanalytiker Sem Wygotsky zum selbständigen, familienunabhängigen Denken führt.

Erkannt, wenn auch nicht radikal, aber immerhin kompensatorisch angegangen, werden dentale Belas- tungen in jenen physiotherapeutischen Praxen, in denen kinesiologisch gearbeitet wird. Durch das Drücken von spezifischen Punkten wird ein Ausgleich der Belastungen gesucht. Diese waren vor ihrer kinesiologi- schen Vereinnahmung aus der Mundakupunktur von Jochen Gledisch bekannt, der entdeckt hatte, dass diese ein holistisches Projektionsbild aller Körperfunktionen darstellen. Dieser naturheilkundliche Pionier betrachtete das Zahnthema nicht nur als HNO-Arzt, sondern auch als Zahnarzt, der er geworden ist, nach- dem er die schädlichen Wirkungen der Zahnmedizin erkannt hatte, mit denen er als Facharzt konfrontiert gewesen war. Gledisch war mit Volkmar Glaser eng befreundet.

Zwar sind inzwischen nahezu 5 000 Zahnmediziner in alternativmedizinischen Gesellschaften tätig, aber „ganzheitlich“ und „biologisch“ gründet meist nicht in einem heilkundlichen Tiefsinn. Man meint oftmals lediglich kein Amalgam und man bevorzugt stattdessen Kunststoffe, obgleich alle naturwissenschaftlichen Gründe ebenso gegen die Kunststoffe sprechen wie das Amalgam. Die bislang entwickelten Testmethoden sind ungenügend. Nur die Diagnostische Resonanztherapie von Friedrich Ochsenreither vermochte sich der Frage in ihrer Radikalität zu stellen und der Blick auf die Atembewegung, zeigt nun im qualitativen Aussehen der Natur, was hier angerichtet wird.

Viele resonanztechnische Testmethoden versagen, weil die Geräte selbst Kunststoffe enthalten und deshalb die entsprechenden Frequenzen blockieren. Auch der kinesiologische Muskeltest bleibt defizitär, wenn die Therapeuten selbst mit Kunststoffen belastet sind, wobei diese Methode keine Kontrolle gegenüber sich beim Testen einschleichende Übertragungsphänomene hat. Bei der umfassenden Messkunst der Elektro- akupunktur kam hinzu, dass die Kunststoffproblematik mit den üblichen, auf die Organmeridiane bezogenen elektrophysiologischen Testmethoden nur in besonders gelagerten Fällen, nicht aber allgemein nachzu- weisen ist. Die ersten kritischen Berichte des Hamburger Kopfherdforschers und Zahnarztes Joachim Thomsen aus dem Kreis der engen Mitarbeiter des Pioniers Reinhold Voll wurden deshalb zunächst nicht angenommen. Ein Durchbruch zu einer veränderten Sicht verdankt sich nicht zuletzt dem einschlägigen Buch von Markus Fußer („Ruinöse Zahnwerkstoffe. Wie Kunststoffe in der Mundhöhle die Atembewegung stören“) und dessen Zusammenarbeit mit einem prominenten Elektroakupunktur-Arzt.

Wichtig erschient der Besprechung, welche den „Ruinösen Zahnwerkstoffe“ in der Zeitschrift „Regulations- medizin“ (Heft 2, Juni 20003), dem „Organ der Internationalen Medizinischen Gesellschaft für Elektroaku- punktur“ gewidmet wurde, der Verweis auf die Darlegung der glaserschen Erklärung des chinesischen Meridiansystems. Das „Befinden im gestimmten Raum“ wird durch Sondermeridiane reguliert. An ihnen lässt sich die besondere Belastungsqualität von Kunststoffen als „übergeordnete Störung“ (Thomsen) ausweisen. Der Blick des Atemlehres über den eigenen Zaun erwies sich für diesen Kreis der Alternativmedizin erhellend.

Unter den Atempionieren war durchaus noch die seit den vierziger Jahren naturheilkundlich gehandhabte Dentalfrage bekannt, die später in der Elektroakupunktur aufgehoben sein sollte. Damals hatte die Zahn- medizin noch nicht all jene Mittel bereitgestellt, mit denen man einen Zahn retten konnte. Sie vermochte nicht das Immunsystem so zu unterdrücken und die Abstoßungsprozesse einzuschränken, damit einge- brachtes Material geduldet wurde. In der Beherrschung der inneren Natur ist man inzwischen weiter ge- kommen. Im cartesianischen Frankreich devitalisiert man sogar routinemäßig bei Überkronungen die Zahn wurzeln, deponiert nicht nur Antibiotika, sondern sogar Cortison, um jede Komplikation, die immer eine Immunreaktion ist, auszuschließen!

Die dicke Backe als Immunreaktion kommt deshalb heutzutage kaum noch vor. In der Pionierzeit der Atem- bewegung jedoch wurde aber noch regelgerecht wahrgenommen, wie durch die Atemarbeit Zahnherde auf- brachen. Auch heute kann noch nach einer gelungenen Behandlung der Weg zum Zahnarzt folgen, weil etwa ein eingesetztes Zahnmaterial herausflog. Und manchmal zeigt sich auch ein  Zusammenhang mit einem aktualisierten seelischen Konflikt. Die naturheilkundlichen und homöopathischen Therapien waren in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts noch unzureichend entwickelt. Meist blieb nur die Radikal- sanierung übrig. Sie war lange auch eine von der Universitätsmedizin praktizierte Methode, die damit auf ihre Weise auf den Zusammenhang zwischen einer Erkrankung der Organe und Kopfherden reagierte, ohne dass dadurch eine Systematik entwickelt worden wäre, was erst später die Elektroakupunktur mit Hilfe der chinesischen Meridianlehre leisten sollte.

Das Problem ist noch vorhanden. Wenngleich es aus dem Sichtfeld der offiziösen Medizin gewichen ist. Es blieb in der Naturheilkunde und der Homöopathie virulent, nachdem es durch den integrativen Regulations- ansatz der Elektroakupunktur aufgehoben worden war. Im Grunde muss man auch die Entwicklung der Mög- lichkeiten der Atemarbeit und der Psychotherapie, auch das Bedürfnis zu beiden sowie die neu auftauchen- den Beschwerdnisse, Funktionsstörungen und Krankheiten in einem Wechselverhältnis zur Entwicklung der Zahnmedizin sehen. Diese hat offenbar einen Kulmniationspunkt in den Möglichkeiten der technischen Ein- griffsmöglichkeiten erreicht, indem Entwicklungen ins Negative umschlagen. Aber inzwischen zeigen sich auch neue Möglichkeiten: das molekularbiologisch angereizte Nachwachsen des Zahnbeins und Zahn- schmelzes, das – sieht man die Zusammenhänge und die Zentralstellung der Zahnmedizin- ein völlig neues Terrain der Heilkunde aufschließen könnte.

Erst ein solch geschichtliches Prinzip und keine einzelwissenschaftliche Untersuchung lässt uns fragen: Ist in dentalen Belastungen der Grund zu suchen, dass die Ausbildung im Erfahrbaren Atem letzten Endes doch nur bei vierzig oder fünfzig unter mehreren Tausenden so gefruchtet hat, dass man mit Ilse Middendorf sagen kann, diese stünden wirklich in ihrem Atem, während die anderen nur über ein qualifiziertes Handwerkszeug verfügen und auf dem Weg seien? Der Umkehrschluss legt nahe, dass das differenzierte Instrumentarium des Erfahrbaren Atems nicht hätte entwickelt werden können, wenn Ilse Middendorf mit belastenden Zahnwerkstoffen, devitalisierten und wurzelbehandelten Zähnen derart belastet gewesen wäre.

Vielleicht stellt die psychotonische Atemarbeit von Glaser mit ihrer Anlehnung an das chinesische Meridian- system die geheime Antwort auf dentale Belastungen dar. Er dürfte wohl wegen seiner Freundschaft mit Jochen Gledisch über die Problematik gut unterrichtet und deshalb nicht durch Amalgam belastet gewesen sein, aber waren es die damalig noch nicht in Frage gestellten Kunststoffe, weshalb Middendorf- Übungen den hochsensiblen Atempionier depressiv machten? Es ist keine Seltenheit, wenn kurz nach dem Zahnarzt- besuch bei sehr Durchlässigen eine lavierte Depression einsetzt, die wieder schlagartig endet, nachdem der Kunststoff sachgemäß – man darf nur zu in dieser Frage ausgewiesenen Zahnärzten gehen! – entfernt wor- den war.

Auch im Bereich etwa der Feldenkrais-Bewegung oder der Yogapraktiken sind ähnliche Erscheinungen zu entdecken. Jahrelang übte man begeistet, bis etwa Rückenprobleme zur Aufgabe zwangen oder sich beim Üben die Symptome einer Krankheit manifest verschlimmerten. Und mancher konnte sich nicht erklären, weshalb er krebskrank geworden ist, nachdem er so gesund gelebt hatte, sich nicht nur vom Naturkostladen seine Speisepläne aufschreiben ließ, sondern sich auch das Amalgam durch Kunststoffe hatte ersetzen lassen. Und dem nicht genug: Er hatte sich täglich seinen Körperübungen gewidmet und weder geraucht noch gesoffen.

Mit dem flächendeckenden Einsatz von kunststoffhaltigen Dentalmaterialien werden nicht nur die histori- schen Leistungen der middendorfschen Atemarbeit ins Abseits gestellt. Auch die Möglichkeiten der alter- nativen Medizin werden eingeschränkt. Auf das Problem wird mit der Neuentwicklung und Umprägung von Methoden geantwortet. Die Zunahme der Rückenschulen dürfte sich ebenfalls der dentalen Kunststoff- thematik verdanken. Auch das aufkommende Trampolinspringen ist übrigens ein hervorragender Zwerchfellzieher und kann ein besserer Ausgleich gegen dentale Kunststoffbelastungen sein als jedwede Überei mit dem Körper und dem Atem. Auch eine langwierige psychotherapeutische Behandlung kann durch den Besuch eines in dieser Frage versierten Zahnarztes ersetzt werden.

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Umpolarisation durch Gegensatzspannungen
Weiß man um die spezifische Tonusverzerrung und eigenartige Atemstörung durch die kunststoffhaltigen Dentalmaterialien, so läst sich Atem-Tonus-Ton als zweckmäßige Antwort auf die Belastung durch kunst- stoffhaltige Zahnwerkstoffe ausweisen. Maria Höller-Zangenfeinds Methode schafft zunächst auch den middendorfschen Übungsmöglichkeiten wieder etwas mehr Raum, weil es mit ihrer Hilfe gelingt, die Wirkung bioinkompatibler Zahnwerkstoffe weitaus besser als mit den middendorfschen Übungsmöglichkeiten zu kompensieren. Uns soll nun die Beeinflussungsstruktur interessieren, über die durch die Methode Atem-Tonus-Ton das durch die Zahnmedizin stillgestellte Lebendige wieder in Gang gesetzt werden kann.

Vor allem für Atemlehrerinnen, die – ohne darum zu wissen – eigentlich vor allem gegen ihre kunststoffhaltigen Dentalbelastungen jahrelang anübten, kann es zu einem sensationellen Befreiungserlebnis werden, wenn sie die Methode Atem-Tonus-Ton vom Fuß her einsetzen. Denn mit den in Refleximpulse eingebetteten Übungen können kinetische Ketten – und damit gelenkübergreifende Muskelketten auf denen die chinesischen Meridiane liegen – aktiviert werden, die bei dentalen Kunststoffbelastungen durch die Middendorf-Arbeit nicht mehr so ohne weiteres in eine durchgängige Spannung kommen. Das Stichwort für diese Wirkung von Atem-Tonus-Ton heißt energetische Umpolarisation durch Gegensatzspannung. 

Wir verstehen die willkürlich betriebene Widerstandsarbeit gegen den Boden, die Maria Höller-Zangenfeind anbietet, allererst als das Setzen einer Gegenspannung zu jenen Anspannungen, die durch dentale Kunststoffbelastungen im Schultergürtel-Kopf-Bereich hervorgerufen werden. Diese sind letztendlich unaufhebbar und nur kompensierbar, weil sich mit ihnen der Organismus gegen die ihm evolutionär fremden Zahnwerkstoffe wehrt. Deshalb bedarf es ab einer erarbeiteten oder auch bei einer vorhandenen höheren Durchlässigkeit systematisch aufgebauter Antipoden, damit die Atembewegung noch ins ausgerichtete Fließen kommt oder überhaupt noch das Üben Wohlbefinden erzeugt und nicht nur Unruhe hervorruft.

Die Atembewegung als Inbegriff des Energetischen ist der Umpolarisation zugänglich. Polar sind die Vertikalbeziehungen von unten nach oben sowie die horizon4ale Ausspannung im Weit- und Schmalwerden. Polaritäten sind vielfach bildbar, wobei in dieser Ursprünglichkeit ein Pol innerhalb des Körpers ist, während der andere im leiblichen Sinne über ihn hinausgeht. Der aus dem Becken aufsteigende Ausatem, geht als sensorisches Richtungselement über den Kopf hinaus. Die Arbeit mit dem Vokal „A“ etwa schließt alle potentiellen Polarisationsmöglichkeiten ein, die in jedem Punkt vor und hinter, unter und über sowie seitlich zu dem Körper ihren Antipoden zu jenem Punkt in der Rumpfmitte finden kann, aus dem das „A“ entspricht und zu dem es beim Ausatmen zurückläuft.

Vor allem die Statik in der Tonusregulation – sie wird durch die Aktion besonderer Muskelspindeln verantwortet – kann durch eine Gegensatzspannung ins bessere Gleichgewicht gebracht werden. Dies ist der eigentliche Wirkungsaspekt der aktiven Widerstandsarbeit gegen den Boden durch Krafteinsatz. Aber auch der dynamische Charakter in der Polarität der Atembewegung ist durch dentale Kunststoffe gestört. Wir wissen bereits um die dynamische Funktion der Zwischenrippenmuskulatur. Dynamische Muskelspindeln mit Atemwirkung existieren auch in den Vorderzehballen und dem Beckenboden. Der Störung des dynami- schen Aspektes durch dentale Kunststoffbelastungen vermag der Aufbau einer transsensische Haltung oder auch der Spannungsatem entgegen zu arbeiten.

Indem an den Körperextremen, dem Fuß oder der Hand willkürlich Spannungen aktiviert werden, entsteht ein Spannungsgegenpol zur gestauten Energie im Schultergürtel-Kopf-Bereich, wodurch die Atembewegung wieder besser ins Fließen kommt. Durch diese Umpolarisation werden erst wieder die gegensinnigen Bewegungen möglich, die vor allem als aufsteigende und absteigende sowie horizontale Ausatemrichtungen in ihrer anthropologisch Bedeutsamkeit durch den middendorfschen Erfahrbaren Atem freigesetzt werden. Vor allem kann durch diese Umpolarisation die Blockierung des oberen Atemraums kompensiert werden, was durch ein direktes Aufdehnen des betroffenen Gewebes nicht mehr so ohne weiteres möglich ist oder gar nur noch das vorhandene Ungleichgewicht verstärkt.

Je mehr die übliche Middendorfpraxis eine gesteigerte Durchlässigkeit für die Atembewegung zu erarbeiten vermochte, desto mehr überspielt sie schließlich vorhandene Spannungsungleichgewichte, wenn dentale Kunststoffbelastungen vorliegen. Es kommt zu keiner stabilen Ausfaltung einer Vollatembewegung in Atemgestalten, die in der Middendorf-Arbeit angelegt sind. Eine gesteigerte Durchlässigkeit ist in der Regel auch bei professionellen Sängern vorhanden. Das was aber nun für einen darstellenden Künstler ein großer Profit sein könnte, nämlich die ausdifferenzierende Durchformung der Atembewegung und die Entfaltung von Atemsubstanz, wird durch dentale Kunststoffbelastungen blockiert.

Verdeutlichen wir die energetische Umpolarisierung, welche die Methode Atem-Tonus-Ton in der Ausatemphase gegen die überspannte Einatemhilfsmuskulatur im Schultergürtel-Kopf-Bereich einsetzt. Die Lösung an der Schulter kann einmal durch eine Gegenspannung gestützt werden, die an der Hand gesetzt wird. Dies wäre etwa das einfache Festhalten an den Hockerbeinen oder den Seitenkanten der Sitzfläche sowie eine aktive Dehnspannung auf das Handgelenk durch das Zurückbiegen der Hand. Durch gespannte Antipole zu den Dentalbelastungen im Schultergürtel können dort direkt angesetzte passiven Dehnungen wieder wirksam werden. Die Gegensatzspannungen heben vor allem aber – betonen wir diesen Aspekt des Heilhindernisses nochmals - die Gefahr auf, dass bestehende Ungleichgewichte durch passive Dehnungen nur verstärkt werden. Leidigkeit und Zerfall sind das Ergebnis.

Diese Kontraproduktivität – die sich erst in späterer Übungspraxis zeigt - ist deshalb leicht möglich, weil passive Dehnungen in der sensitiven Bewegungsarbeit des Erfahrbaren Atems meist auf die Einatembewegung gelegt werden, wodurch der durch die dentale Kunststoffbelastung hochinnervierte Bereich mehr tangiert wird, als lieb sein kann. Bei üblichen Dehnarbeiten erhält wegen eines überzogenen Einatmens das Ausatmen nie seine umfassende Dauer. Ohne vollendete Zeitlichkeit aber bleibt die Atembewegung formlos.

Wenn das bestehende Ungleichgewicht letzten Endes bei andauernder sensitiver Bewegungsarbeit deshalb sogar verstärkt wird, so zeigt sich dies in einer Unruhe nach dem Üben, das manche fälschlicherweise so interpretieren, es tue sich etwas oder sie müssten existentielle Lebensentscheidungen vollziehen. Trennungen erscheinen abverlangt, um nicht mehr das gespürte Leid erleben zu müssen, dass in der Innenwendung so drastisch sichtbar wird. Und doch sind es oftmals nur dentale Belastungen, die nicht über etwas hinweg kommen lassen. Hier setzt dann oftmals die Psychologie ein, die etwas durch ihre reflexive Nacherziehung einbiegt und als reflexive Einstellung vom Ich abverlangt, was sich gegen die Dentalbelastungen nicht mehr selbsttätig im Leib durchformt.

Eine in den Fuß gesetzte Spannung ist nicht nur eine umpolarisierende Gegensatzspannung zur Schultergürtelbelastung. Sie kompensiert zugleich eine dortige Unterspannung, die mit der beanstandeten Überspannung im oberen Atemraum korreliert. Mit den Krafteinsätzen des Fußes kann ebenfalls von vornherein der Überdehnungsgefahr beim Einatmen entgegengewirkt werden. Aber vor allem kann durch die Kombination von energetischer Umpolarisation und reflektorisch einfallenden Einatem auch im Schultergürtel etwas wieder in den Fluss gebracht werden, das sich durch punktuelle Ansprachen manchmal sogar verfestigt, wenn sich unten die Durchlässigkeit bis in Empfindungsschwächen hinein steigert.

Wenn die Füße im Boden einsinken, treffen wir ein Unterspannungsphänomen an, das meist dieser Art von dentaler Belastung geschuldet ist. Denn was oben zuviel an Energie gebunden wird, fehlt dann unten an dem anderen Extrem der Körperausspannung, den Händen oder den Füßen, wenn die Muskulatur robust und weniger durchlässig ist. Man kann dann jahrelang üben, ohne durchgreifend lokale Unterspannungen anzuheben und Überspannungen aufzulösen. Vor allem jedoch gelingt es nicht, die Atembewegung in ihrem Gestaltreichtum dauerhaft durchzuformen, zu füllen und zu verdichten.

Eigentlich gelingt in der Middendorfarbeit ohne eine Umpolarisierung nur noch das entlastende Entspannen, das aber auf Dauer zu einem In-sich-gekehrt-sein führt, das nur noch die Entwicklung als Selbsttäuschung kennt. Wir gelangen hier endgültig bei der Begründungspflichtigkeit einer Atemweise an, die in sich selbst spürt, was ja keine sensorisch bündige Beziehung  zur Außenwelt ist, sondern zu ihr zunächst die Distanz ausmisst. Wenn dentale Kunststoffbelastungen vorliegen, kann die sensorische Ausdehnungsbeziehung, durch die der Mensch ungebrochen durch das Bewusstsein in der Welt aufgeht, durch andauernde Atemarbeit selbst zerstört werden. Man wähnt sich in seiner Einsamkeit großartig gegenüber den Vorkommnissen in der Außenwelt, ist jedoch nur noch grandios in seiner Kontaktunfähigkeit.

Sind die dental begründeten Fehlspannungen in ein robustes Muskelfeld eingebaut, schafft ein Krafteinsatz zum Boden eine ausgleichende Energetisierung, die primär für die Aktivität des Zwerchfells zuträglich ist. Diesem wird durch den reflektorischen Einatmen ein höheres Ausschwingen erlaubt. Damit stellt sich die Methode Atem-Tonus-Ton wiederum in die Nähe von Lösungsmöglichkeiten, die bei dentalen Kunststoffbelastungen den einfach dehnenden Bewegungen im großen Maße verweigert bleiben, wie man sie aus dem Middendorf-Übungsreigen kennt. Spannungen, die in jahrelanger Übung am Atem gespürt, aber nicht aufzulösen waren, scheinen plötzlich wie weggepustet, wenn der reflektorische Atem nach einer aufgebauten Gegensatzspannung einfällt, um durch eine neugewonnene Weite im Ton moduliert zu werden.

Der Druck gegen den Boden schafft eine Umpolarisierung des Bewegungsflusses, der nunmehr von unten nach oben strömen kann, was nicht möglich wäre, wenn das Gegenextrem unterspannt bliebe. Doch auch hier ist nochmals zu unterscheiden. Es bedarf der energetischen Umpolarisation in vertikaler Beziehung vor allem bei abwehrfähigem Grundtonus. Bei hochempfindsamen Menschen dagegen, deren Atembewegung wegen der Kunststoffbelastungen zu einem tonischen Fluchcharakter tendiert und vornehmlich vegetativ angetrieben ist, wird jedoch die horizontale Dimension der Schwerkraftbeziehung bei der Umpolarisation bedeutsam. Besonders der Einsatz des middendorfschen Spannungsatem wirkt in der räumlichen Waagrechten.

Bei Tendenzen zur Überempfindlichkeit, die mit einer geringen tonischen Reagibilität der Atembewegung einhergeht, sind in der Regel alle Gelenke überspannt. Die dentale Belastung im Schultergürtel ist oft versteckt bzw. sie zeigt sich deutlich in dem vornehmlich vegetativ angereizten Atemfluss. Vor allem aber verharrt die Zwischenrippenmuskulatur trotz vielen Übens in einer geringen Beweglichkeit und damit reduzierten Resonanzfähigkeit des Atemleibes gegenüber der Außenwelt.

Aber auch gegen Überspannungen in den Gelenken bei sensibleren Naturen taugt diese Methode des drückend-widerstehenden Krafteinsatzes. Bereits wegen der geringeren Tonusreagiblität kommt es hierbei verstärkt auf die Dosierung an. Da auch die Ichdistanzen zum eigenen Leib nur schwer durch eine erlebendes Einlassen aufgehoben werden können, wird ebenfalls das Maßfinden in der Widerstands- und Druckarbeit zu einem Problem. Durch den Druck können jedoch diese Gelenküberspannungen ebenso abgebaut werden wie bei geringer Duchlässigkeit oftmals in den Gelenken vorhandene Unterspannungen, weil die Spannungsrezeptoren in den Sehnenorganen auf Druck ansprechen. Die technisch eingesetzte Widerstandsarbeit hat deshalb positive Atemwirkungen, weil mit dem selbstausgeführten Druck – wie auch in der Middendorf-Arbeit geschätzt – Atemreflexe, ja ganze muskuläre Dehnungsketten, aktiviert werden.

Ein und die selbe Übungsweise verpflichtet demnach Energetisierungen bei entgegengesetzten Tonustypen: dem zu wenig durchlässigen Abwehrtonus sowie dem zu durchlässigen Fluchttonus. Bleibt die sensorische Maßsetzung in Atem-Tonus-Ton zu besprechen, durch die erst die eigentliche psychotonische Dimension eingeholt wird.

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Transsensischen Verhalten Atem-Tonus-Ton
Was uns zum Problem werden sollte ist, dass die eigentlich beanspruchte Tonisierung nicht durch die Art und Weise erreicht wird, wie Maria Höller-Zangenfeind ihre willkürgeformten Arbeitseinsätze selbst versteht. Diese stellen lediglich Kontraktionen gegenüber einem Objekt dar, die dann die Gammaaktivität nicht nur in den willkürlich betätigten Muskeln hemmen, sondern auch bei nichtspürsamer Ausführung selbst die Lösung in der passiv gedehnten, dem Agonisten gegenüberliegende Muskulatur blockieren. Dass eine Tonisierung als Gesamtprozess erwiesenermaßen trotzdem stattfindet, muss einem anderen Sachverhalt verdankt sein.

Wir haben ihn bereits benannt. Maria Höller-Zangenfeind weist ihn in ihrem Lehrbuch nicht aus. Sie hat von ihm auch offenbar gar kein Bewusstsein. Sie verpflichtet ihn allerdings durch ihre Arbeitsweise mit, die maßvoll sein will, soll sie gelingen. Ihre Maße gewinnt sie, indem durch die Widerstandsarbeit bzw. Druckarbeit zugleich eine vital-sensorische Raumbeziehung herstellt wird. Diese Beziehung zum Außen bleibt im Selbstgespür der Middendorfarbeit über weite Strecken unbewusst, weil der Weg zunächst nach innen gehen soll, wird schließlich zunächst in einer qualifizierten Partnerarbeit ausschlaggebend und auch im Ziel des Erfahrbaren Atems mitverpflichtet, der mit seinem Übungsensemble die „Bewegung aus dem Atem“ anpeilt.

Wir machen die tonisierende Wirkung trotzdem in dem von Maria-Höller entwickelten Tonus-Brückenschlag fest, weil wir ihn in einem anderen Licht als sie selbst sehen und durch die eigenen Scheinwerfer ausgeleuchtet erkennen, dass über ihn Middendorf mit Glaser verbunden wird. Der drückend-widerstehende und spürsam eingesetzte Krafteinsatz spannt nämlich zugleich sensorisch gegen den Boden aus und aktiviert dadurch die Gammamodulation des Muskeltonus, wenn er gefühlsvoll geschieht. Die Umpolarisation von Energie findet damit nicht allein durch die Gegenspannung statt, sondern verdankt sich letzten Endes der Setzung eines sensorischen Antipodens.

Was wir anfangs unserer Erörterung streng unterschieden haben, birgt – wie bereits angekündigt – also auch Vermittlungen. Der Krafteinsatz zur Widerstandsbehauptung gegen den Boden kann kein pures Selbstempfinden einsinkender Füße mehr sein. Es ist auch kein Selbstempfinden, das allenfalls soweit über sich hinaus ist, dass zugleich ein aufrichtendes Tragen-lassen entsteht. Von vornherein ist mit der Widerstandsarbeit eine spürende, von sich selbst weggehende Tendenz zum Transsensus angelegt. Dieser begegnet als eigentliche psychotonische Regulation auch einem Versinken im Boden. Dieses kann als eine Form der sensori- schen Einkehr der Außenwelt in die Selbstempfindung betrachtet werden, bei der sich die Person aus den Füßen zurückgezogen hat. Die umpolisierende Gegensatzspannung vollendet sich demnach im transsensischen Verhalten.

Es ist der eingeschlossene in der Psychotonik Volkmar Glasers bewusst erarbeitete Transsensus in einer zunächst technisch einzusetzenden Übungsweise, durch das die bekömmlichen Maße der Stärke des drückenden Krafteinsatzes herausgefunden werden. Richtet sich dessen Dauer nach dem Ton, so kann diese muskuläre Betätigung nur in einer Beziehung ausgemessen werden, in der die drückende Bewegung und das Spüren des Bodens einander anleiten. Das Bewegen folgt dem Spüren und das Spüren dem Bewegen, ohne dass das Bewusstsein reflektierend dazwischen tritt. Viktor v. Weizsäcker nennt dieses sensomotorische Ineinanderübergehen einen „Gestaltkreis“. In dieser umfassenden Grundlegung erfüllt sich, dass Maria Höllers Arbeitsweise auch bei von dentalen Belastungen frei Seienden eingesetzt werden kann. Dabei kann es genügen, diesen Widerstandseinsatz nur leicht anzudeuten. Muskelkraft ist dabei überhaupt nicht mehr gefragt. Es genügt das transsensische Verhalten.

Auch die Sitzebene kann über die Spürung von den Sitzknochen her derart in den Transsensus genommen werden, dass sich der Tonus aufbaut. Wenn so einem evtl. Einsinken entgegengearbeitet wird, setzt sich der Transsensus in eine bessere Aufrichtung um. Maria Höller-Zangenfeind hat diesbezüglich Übungen aus dem Ensemble des Erfahrbaren Atems umgeformt, wodurch ebenfalls von unten nach oben durchlaufende Lösungen und Antriebe ermöglicht werden.

Werden die durchs Spüren zu erkundenden Maße des Körpereinsatzes verfehlt, kann das Ganze bei einer hochgestellten Zwerchfellrigidität auch gründlich fehlschlagen. Das Zwerchfell geht dann beim Einatmen nicht nach unten und weitet den Bauch, sondern wird wegen einer in diesem Fall extrem höher gespannten und damit auch extrem höher innervierten Einatemhilfsmuskulatur im Schultergürtel allzu leicht nur noch nach oben gezogen. Maria Höller-Zangenfeind spricht wohl aus gutem Grunde an nur einer Stelle von einer und zwar ausgerechnet von dieser pathologischen Fehlatemweise, die ihre klinische Aufmerksamkeit als paradoxe Zwerchfellbewegung gefunden hat.

Die paradoxe Zwerchfellbewegung liegt den beiden Grundformen seelisch-geistiger Erkrankungen zugrunde. Ist das tonische Grundkostüm auf Abwehr eingestellt, so bedeutet diese Umkehrbewegung des Zwerchfells Perversion, was dem lateinischen Ursprung des Wortes entspricht. Und bei sensibleren, abwehrunfähigen und zur Flucht neigenden Naturen begleitet diese eine Psychose. Schizophrenie hat eine altgriechische Wurzel und ist mit gespaltenem Zwerchfell zu übersetzen. Der Perverse unterwirft sich das Außen, wo er nur kann, um es einzuverleiben. Der Geisteskranke dagegen folgt den von außen einströmenden seelisch-geistigen Informationen. Er hört sie als Stimmen.

Betrachten wir noch die andere Arbeitsweise, welche die Methode von Maria Höller-Zangenfeind führt. Dem Druck eines anderen widerstehen, ist eine andere Weise des Aufbaus von Widerstandskraft, die dem von Maria Höller-Zangenfeind auch ausdrücklich „willkürliche(r) Tonus“ genannten Ziel dient. Der von außen gesetzte Druck durch einen Partner dient vor allem der Entfaltung von Resonanzen und Klangfülle aus dem Brustraum. Gegen die im Brustkorb angelegten und Druck ausübenden Hände eines Partners darf sich aber nicht entgegengestemmt werden, weil dies nur muskeltonische Abwehrformen erzeugen würde. Die Kraft zum Widerstand soll von unten kommen und innerhalb einer Polarität genommen werden.

Wenn die mukuläre, teilweise gelenkübergreifende Kette vom Fuß bis etwa zur Zwischenrippenmuskulatur in eine durchgängige Dehnung gebracht ist und damit zur Lösungskette werden kann, geschieht das Entscheidende innerhalb der Partnerbeziehung. Deren Qualität entscheidet, ob eine Übung ihren Zweck erreicht. Maria Höller-Zangenfeind thematisiert nicht die personale Stellungsnahme gegenüber dem anderen, die in ihrer Druckarbeit liegt. Diese ist aber nicht nur nach Glaser maßgeblich dafür ist, dass Lösung stattfinden kann. Selbstverständlich ist für sie ein sensibles Zueinander verlangt, das gelingt, wenn diese personale Dimension eingeholt werden kann. Dazu gilt es sich den Händen des druckausübenden Partners entgegenzudehnen, wodurch ihm auch entgegengespürt wird. Diese sensorische Haltung wird von beiden miteinander Übenden verlangt. Stemmt sich einer dem anderen jedoch entgegen, misslingt die Arbeit ebenso als wenn vor dem Druck zurückgewichen wird, der andere nur noch in dessen belastenden Eindringen erlebt wird.

Wir sehen in der gelungenen Druckarbeit ebenfalls eine abgewandelte Form des Transsensus geborgen, den Glaser Obtensus nennt. Mit ihr zeigt sich endgültig, dass mitnichten isolierte Körperteile in Stellung ge- bracht werden, sondern sich ganze Muskelketten – ihre Strukturbedeutung wird durch das chinesische Meridiansystem erfasst – in ihrer Lösungsaktivität entfalten sollen. Was bei Maria Höller-Zangenfeind als Widerstandleisten firmiert, hat nur lösend-tonusabbauende Funktion, wenn sie von einer spürsam eingesetzten Zuwendung der Partner getragen wird, was im Kreis von Middendorf-Atemlehrerinnen ebenfalls geübt ist.

Entscheidend bei der Übungsanlage von Atem-Tonus-Ton ist das Beenden der gesetzten Krafteinsätze, das Maria Höller-Zangenfeind als ein „Lösen“ bezeichnet, was aber seiner Natur nach ein Entspannen der willkürlich genutzten Muskulatur ist. Das Beenden des Widerstandsdrucks folgt dem Ende der auf den Ausatem gelegten Tongebung zusammen. Da diese über das unwillkürliche Selbstlaufmaß der Ausatembewegung hinaus gehalten ist, erzwingen Atemreflexe den Einfall des Einatems. Dieser reflektorische Einatem geht so tief, dass sich unabdingbar eine Antriebskraft im geweiteten Bauchraum aufbaut und das Einatmen nicht im Brustraum aufstaut.

Vor allem verdankt sich der reflektorische Einatem dem Fehlen einer Atempause, die im sich selbst zuwendenen Ruherhythmus vorhanden ist. Betonen wir nochmals zur Verdeutlichung: Der reflektorische Einatem ist das Ergebnis einer zuvor gehaltenen Spannung in der Ausatemphase, welche durch Widerstandsarbeit und Toneinsatz geformt, aber nicht völlig bis zu dem Punkt verlängert wurde, an dem die Luft dramatisch zu fehlen beginnt. Dem reflektorischen Einatmen geht also ein durch die Länge des geführten Tons ausgeschöpftes Ausatmen vorher.

Dem reflektorischen Einatem kann keine sensorische Raumqualifizierung folgen wie sie der middendorfsche Erfahrbare Atem anpeilt. Dafür wird in der Middendorf-Methode auf die Selbstbildung eines Atemrhythmus in der Atempause gewartet: „Den Atem kommen und gehen lassen und warten, bis er wieder von allein kommt“, ist das Übungsmotto. Dabei kommt es vor allem auf die Atemruhe in der Atempause an, in welcher der alte Atemrhythmus ausklingt.

Ebenfalls keine Pausenbildung kennt auch der Spannungsatem. Auch ihm fehlt der in sich zurückkehrende Ruhepunkt nach dem Ausatem, der nach einer raumfüllenden Einatembewegung, die mögliche Raumverdichtung als Zentrierung abschließt. Nur dieser zeitlich vollendete Rhythmus, der in der Atempause zur Ruhe kommt, ist konstitutiv für die innere Ausdifferenzierung der räumlichen Atembewegung in Atemgestalten.

Dieser Atemrhythmus wird auch Ruheatem genannt und ist von einer Tonisierung getragen, die etwas unterhalb einer der Welt zugewandten Bereitschaftshaltung liegt, aber kein Erschlaffen meint, sondern eine eigene Präsenz einschließt. Davon zu unterscheiden ist nochmals der middendorfsche Spannungsatem, der in seinem singulären Einsatz eine vitale Grundform des transsensischen Verhaltens darstellt und darin der von der glaserschen Psychotonik aufgeworfenen Thematik begegnet. Die Atemweise Spannungsatem kommt durch zueinander gegensinnige Richtungsbewegungen der Ausatemschwingung und der Hände zustande. Indem in sich aufdehnende Mitbewegungen der Hände nach außen in den vital-sensorischen Raum gehen, läuft die Ausatembewegung im Binnenraum in sich zurück. Indem die sich aufdehnenden Handflächen eine spürende Gegenspannung zum Außenraum aufnehmen, während der eigene Atemleib schmaler wird, werden sie zu einem sensorischen Über-sich-hinausweisen, welches wiederum das Ausatmen verlängert.

Der Unterschied gegenüber den vielen Mitbewegungen der Hände, die der Erfahrbaren Atem ansonsten kennt, ist markant. Normalerweise gehen die Dehnbewegungen der Hände gleichförmig mit dem Weit und Schmalwerden, aber gerade diese Arbeitsweisen verschärfen bei hoher Durchlässigkeit wiederum Ungleichgewichte im Atemrhythmus, wenn dentale Belastungen durch Kunststoffe in der Mundhöhle vorliegen. Maria Höller-Zangenfeind arbeitet deshalb vor allem mit dem Spannungsatem, in dessen Struktur sie viele von Ilse Middendorf entwickelte Arbeitsweisen einmünzt und dadurch das transsensische Verhalten in der Mitbewegung der Hände realisiert. Es wird - wie im Erfahrbaren Atem üblich - kein zu sich kommen im Ruhepunkt gesucht.

Durch seine Gegensinnigkeit der sensorisch nach außen sich verhaltenden Bewegung und der empfundenen Innenbewegung wirkt der Spannungsatem gegen die Ausgangslage einer durch Kunststoffe bereits überinnervierter Einatemmuskulatur, die den Ausatem ansonsten nur verkürzt. Diese Einatembetonung ist innerhalb der Lunar-Solar-Polarität typisiert worden, ohne dass man den dentalen Belastungsgrund kennt. Ihr kann übrigens ebenfalls durch Atemtechniken, welche Atemphase verlängern und verkürzen, entgegengearbeitet werden.

Das Übungsarrangement Spannungsatem jedoch nutzt das Gegensatzmoment von Innen- und Außenbewegung. Mit dieser Atemweise soll einerseits die Gesamtspannung durch ein erweitertes Ausatmen erhöht werden, wodurch einer durch Kunststoffbelastungen verringerten Aktivität der Zwischenrippenmuskulatur entgegenwirkt werden kann. Andererseits ruft die Gegenläufigkeit von Innenbewegung und Außenbewegung auch die Möglichkeit der Umpolarisation auf. Indem beim Spannungsatem die Hände in der Ausatemphase von sich selbst wegführen, wird – verdeutlichen wir dies nochmals – eine antipodische Struktur des Sensorischen geschaffen.

Bei vielen middendorfschen Arbeitsweisen trägt die Einatembewegung eine Weitebewegung der sich aufdehnenden und vom Atemleib wegführenden Hände und umgekehrt begleiten die Hände die Ausatembewegung ebenfalls in gleichsinniger Zurückbewegung, wodurch sich die Atembewegung besser in einem Atemzentrum verdichten kann. Diese Arbeitsweise, die mit den Händen das Weit- und Schmalwerden untermalt, entwickelt auch ein inneres Band von Außenbewegung und Innenbewegung. Dabei wird nie aktiv auf eine Bewegung hin mitgeatmet. Dies wäre Atemgymnastik. Vielmehr umgekehrt wird vorgegangen. Die Bewegung wird auf die Atembewegung gelegt.

Es ist nun dieses spürbare Atemzentrum, das so wichtig für den Erfahrbaren Atem ist, weil sich im Zurückschwingen zu ihm die Pausenbildung aufhängt, damit sich aus diesem und dieser heraus der Einatemimpuls als Auftakt einer neuen Rhythmusbildung entwickeln kann. Der Atem kommt zu sich, wenn der alte Rhythmus in einem Ruhepunkt der Pause ausklingen kann, um der Bildung des endogen eingeschriebenen Eigenrhythmus Raum zu geben. Der Spannungsatem dagegen ist kein zu sich kommen durch das Ausatmen, der die Person innehalten lässt. Er ist vielmehr die Atemweise, durch die wir im Kontakt zum anderen oder auch zum Publikum aufgehen.

Der Atemrhythmus der sich selbst zuwendenden Ruhehaltung ist dreiphasig und wird in der Frequenzaufzeichnung als Girlande dargestellt. Bei dieser zeitlichen Charakteristik schwingt die Einatembewegung langsam aus einem Tiefpunkt auf, kippt in die Ausatembewegung um und läuft in der Pause aus. Die Atembewegung der dem Außenraum zugewandten Bereitschaftshaltung wiederum schwingt pausenlos in einer welligen Sinuskurve. Das Einatmen geht ständig in ein Ausatem über. Auch der Spannungsatem kann als Sinuswelle aufgezeichnet werden, wobei er als besondere Atemform das Kontaktmaß persönlicher Ausspannung birgt. Beim Spannungsatem sinkt allerdings das Einatemniveau in der Frequenzdarstellung bei jedem neuen Atemzug ab, weil die Ausatemphase etwas länger als die Einatemphase ist. Die Atem-Tonus-Ton-Arbeit kennt die eigene Zeitgestaltung im aufgezeichneten Frequenzverlauf: Eine steil aufsteigende Bewegung des reflektorischen Einatmens wird von einer langsam nie bis zum Nullpunkt absinkenden Ausatembewegung abgelöst, die im pünktlichen Loslassen des drückenden Krafteinsatzes zerfällt, um wieder von vorne hochzuschießen.

Gerade dieser abschließende Vergleich macht uns schmerzhaft darauf aufmerksam, dass die originäre Raumbildung, wie sie in der middendorfschen Lehre vom Erfahrbaren Atem postuliert wird, durch dentale Kunststoffbelastungen eingeschränkt ist. Es kann wenn überhaupt nur noch schwer zu einem derart vollendeten Atemrhythmus kommen, der Transzendenzcharakter hat.

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Perspektiven
Unsere Erörterung ist im Interesse der Zukunft einer Jahrhundertleistung durchgeführt, die wir durch die mo- derne Zahnmedizin bedroht sehen. Das vergangene Jahrhundert hat die Leiblichkeit des Menschen in seiner materiellen Realität gegenüber deren christlichen Vergöttlichung entdeckt. Die Atemlehren des Westens haben jene Verselbständigung der Rationalität von der unmittelbar erlebten Lebendigkeit entgegenzuwirken versucht, die mit den medizinisch orientierten Pneumatikerschulen der griechischen Antike einsetzte. Be- reits die griechische Philosophie hat die letzten Bindungen der Menschen an die längst zerbrochene archa- ische Bewusstseinsphäre entrissen, in welcher der Atem noch als unmittelbar erfahrenes einheitsstiftendes Prinzip gegolten hat.

Die moderne Medizin hat gar nicht mehr diese Trennung von aller magischen Ursprungsmystik nachzuvoll- ziehen gehabt, sondern sich von einem bereits mit dem christlichen Erbe durchtränkten Aberglauben des Mittelalters zu distanzieren gelernt, der überhaupt keine Kultur der unmittelbaren Leibnähe wie im asiati- schen Raum mehr, nur noch den mystischen Leib gekannt hat. Erst die modernen Wissenschaften haben mit ihren experimentellen Möglichkeiten ein versachlichtes Dingverhältnis in Diagnose und Therapie abgesichert und gegenüber den auf eigenen abendländischem Boden selbst entstandenen oftmals obskuren Medizinpraktiken Widerspruch eingelegt, die weit hinter der Rationalität der ayurvedischen und taoistischen Medizinlehren zurückgeblieben waren. Im Atembezug der östlichen Kultur waren Ordnungsstrukturen wach geblieben, die durch den technokratischen Geist der wissenschaftlich gepflegten Fachidiotie bis heute hartnäckig abgewehrt werden. Die geschichtsphilosophische Idee, die hinter unserer Kritik hervorlugt, ist insofern neu, als sie keine bloß negatorische Haltung einnimmt. Sie transportiert die Möglichkeit, das cartesianische Verhalten des Arztes in die Lebendigkeit zurückzubinden. Die Ambivalenz der Eingriffe der neuzeitlichen Medizin hat mit der Entwicklung der Zahnmedizin nicht nur einen Kulminationspunkt erreicht. Vielleicht ist die Entwicklung der modernen Medizin und aller alternativmedizinischen Bewegungen auch als eine Antwort auf die Eingriffe der Zahnmedizin zu verstehen, die einerseits viele Kopfherde beseitigt, aber andererseits auch neue Störfelder implantiert hat.

Bei solcher Sichtweise repräsentiert die Atembewegung  das Prinzip der Autonomie des menschlichen Organismus und der Ganzheitlichkeit, das durch keine naturwissenschaftliche Disziplin gesichert werden kann, aber bei vielen medizinischen Maßnahmen völlig unberücksichtigt bleibt. Da allzu vieles inzwischen auch ins Negative umkipp, kommt die Unmenschlichkeit heutzutage auf leisen Sohlen daher. Die Menschen sind in den herrschaftsgefügten Sozialsystemen eingefangen, wodurch vitale Lebenswelten zerstört oder an den sozialen Rand gedrängt werden.

Durchaus könnte die Repräsentanz des Lebendigen, die sich in der Atembewegung als qualitatives Aus- sehen der menschlichen Natur zeigt, mit den molekularbiologischen Forschungen eine wissenschaftliche Grundierung erhalten. Auch die beiden entscheidenden Fragen einer Bewusstseinstheorie, wie die Emp- findung mit der Wahrnehmung zusammenhängt und wie neuronale Daten zum Erlebnis werden können, dürften durch den Blick auf den Atem der Lösungsweg gewiesen werden. Der wissenschaftliche Erkennt- nisfortschritt erscheint uns unbegrenzt, der wissenschaftlich-technische Eingriff auch in die innere Natur unterliegt dem Limit, das die Natur selbst zieht.

Und was ist, wenn die dentalen sowie anderen äußeren Belastungen wirklich saniert sind, die sich an der Atembewegung zeigen? Durchgängig sind keine gravierenden Atemfehlstellungen und Atemrigiditäten mehr vorhanden. wie sie ansonsten so häufig beim Normalbürger wahrzunehmen sind. Derart dramatisch ist die Diagnose, die auf sechzehn Jahre Erfahrung mit dieser Frage gründet, ohne dass es möglich ist, Entwar- nung zu geben. Viele Mühe, mit der heutzutage am Atem geübt wird, ist kompensatorisch. Manches er- scheint sinnlos. Und vieles was dazu gesagt und gemurmelt wird, erweist sich als Selbstbeweihräucherung und Selbsttäuschung. Doch der Einsatz von Atem-Tonus-Ton kann besonders wirksam sein.

Die Kritik der heutigen Praxis der westlichen Atemarbeit klagt das Leben ein, indem sie in einer Kritik der westlichen Wissenschaftsrationalität gipfelt, die den Menschen von sich selbst entfremdet. Jenseits der Bewältigung der Dentalfrage öffnen sich die Wege zu einer personenbezogenen Heilkunst. Atmen ist darüber hinaus nicht nur eine Frage der Klinik, sondern auch der Erlebnis- und Lebenskunst. Der Mensch kann sich in seinen schöpferischen Potentialen erfahren und lernen, sie sozial durchzusetzen.

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