Des Sängers Cornelis Veening entscheidende Entdeckung war der von innen kommende Atemimpulses. Um das unwillkürliche Freiwerden von dessen feiner
Bewegung zu fördern, entwickelte er zusätzlich zur Atembehandlung eine meditative Atempraxis, die sich eklatant von östlichen Versenkungsmethoden unterscheidet. Der von ihm und seiner maßgebenden Schülerin
Herta Grun entwickelte Atemaufbau will nicht - wozu etwa der Lotussitz dient - die Schwerkraftreize minimieren und den Wachheitstonus herab- setzen. Der Atemaufbau ist vielmehr an eine personale Haltungsleistung
gebunden, die das Belauschen der Atembewegung im aufrechten Sitzen abverlangt.
Durch eine sprachlichen Anleitung zum Durchleuchten des Leibes soll sich die Atembewegung des Üben- den aufbauen – von unten an den Füßen
beginnend geht es nach oben. Dabei ist eine Paradoxie zu meistern. Zunächst ist die bezweckte Ausrichtung der Wahrnehmung des Übenden auf seine Atembewe- gung eine Ichaktivität. Aber nur durch diese hindurch kann
das Leibgedächtnis des Atems angefragt werden, in dem aufbewahrt ist, was das Bewusstsein nicht oder noch nicht tragen kann. Denn der unwill- kürliche Atemfluss setzt Unerwartetes frei und ist auch eine
“Leiddurchdringung” (Cornelis Veening). Das Abgeblendete, Blockierte und Abgespaltene versperrt jene an die Atemempfindung gebundene Samm- lungsfähigkeit, durch die hindurch sich die Bindung der
Aufmerksamkeitsleistungen an die logoszentrierte Hierachie des Willkürbewusstseins auflöst und die Bedürfnisse des Leibes in ihr Recht gesetzt werden. Wenn sich dazu zunächst der sprachlichen Lenkung der
Aufmerksamkeit bedient werden muss, so kann jedoch die Person des Atemschülers nur erreicht werden, weil zarter kleiner Atem danach verlangt. .
Veening kooperierte in den dreißiger Jahren mit dem Internisten und
Begründer der Psychosomatik Richard Gustav Heyer, der mit C.G. Jung befreundet war. Heyer stellte Veening in der Öffentlichkeit als seinen Freund und Atemlehrer vor. Veening wiederum war auch ein entscheidender Lehrer von Ilse Middendorf. Diese führte dessen Atembehandlung weiter und erschloss mit der Bewegungsarbeit und der Lautarbeit weitere Zugänge zum unwillkürlichen Atemfluss. Dadurch bekam die personengebundene Leistung des Atemlehrers ein über das individuelle Geschick hinausweisendes empfindungssicheres und methodendifferenziertes Fundament. Das große Gewicht der sprachlichen Anleitung beim veeningschen Atemaufbau wurde durch aufmerksames Schauen und ein empfindungssicheres Nachahmen in der middendorfschen Grundformel vom Erfahrbaren Atem: Atmen - Empfinden - Sammlen abgelöst.
Rezension: “Atemrhythmus und Psychotherapie” von Stefan Dietrich Vergleich Veening - Middendorf - Glaser |