Im vergangenen Jahrhundert wurden immer wieder Wege gesucht, den seelisch-geistigen Gehalt von Belas- tungen zu identifizieren, die sich im
Atemverlauf abzeichnen. Versierte Atemlehrer entwickelten eine intuiti- ve Sicht, die ihnen erstaunliche Einsichten ermöglichte. Doch die strikt am Atem orientierten Praktiken ha- ben ebenso wenig wie die früh
vorgenommenen, gestalttheoretisch inspirierten Forschungen um emotionale Gesetzmäßigkeiten in der Atembewegung ausgereicht, eine eigenständige Atempsychologie zu entwickeln.
Dennoch haben Anregungen aus der frühen Atemarbeit die Entwicklung der Körperpsychotherapie angesto- ßen. Die Pioniere der Körperpsychotherapie
kamen aus der Atemarbeit oder der Beschäftigung mit dem Atem. Zu nennen ist Lucy Heyer-Grothe, die Frau des wohl ersten Psychosomatikers und durch die jungia- nische Analytische Psychotherapie inspirierten Gustav
Richard Heyer.(siehe auch die Buchbesprechung “Atemrhythmus und Psychotherapie”). Auch die Frauen von Otto Fenichel, Wilhelm Reich und Erich Fromm waren Atemlehrerinnen. Und die kommunikationstheoretisch
orientierte Mitbegründerin der Humanistischen Psychologie, Ruth Cohen, von der die “Themenzentrierte Interaktion” stammt, verdankt der Atemarbeit bei Elsa Gindler wesentliche Inspirationen. Doch die im
Bereich der westlichen Atemarbeit zunehmend subtiler praktizierte vital-sensorische Pathie erlaubte es nicht, einen direkten Weg zur Psychologie und Psycho- therapie zu finden. Das hat vor allem einen Grund: Die
fortgeschrittene Atempraxis lebt zunächst davon, dass das Erleben führt und gerade das ausgeschaltet wird, was Bezugspunkt jeder klassischen Form der Psychotherapie ist: das verstehende und deutende Ich. Denn der
Atem blüht sowohl im Leben als auch in der Atembehandlung oder dem Üben auf, wenn die “phänomenale Situation” (Edmund Husserl) realisiert wird. Diese definiert sich darin, dass nicht das Ich gegenüber dem
Leib in Selbstdistanz tritt.
Die Frage um die Konstitution einer Atempsychologie ist jenseits des klassischen Dualismus von Körper und Seele zu klären und offenbar nur in der
Unmittelbarkeit der Resonanzerscheinungen in der Atembewe- gung dingfest zu machen. Denn Seelisches gründet in jenem Punkt des Leibes, in welchem Information durch Schwingung in die Atembewegung übertragen wird.
Den Sitz der Seele vermutete bereits der Früh- romantiker Novalis dort, wo das Innen am Außen und das Außen am Innen arbeitet. Inzwischen ist es aufgrund von Anregungen aus der Testdiagnostik der
Alternativmedizin möglich, durch Resonanzabgleiche Belastungen durch seelisch-geistige Informationen punktgenau in der konkreten Atembewegung, als Verletzungen der Atemgestalt hinsichtlich Raum und
Richtung bzw. Grenze und Zentrierung sowie als Verformung einzelner Rhythmusphasen zu identifizieren.
Aufsätze zu diesem Thema:
Sammlung: Zwischen Bewusstsein und Erleben
Über das Verhältnis von Körperpsychotherapie und Atempsychologie
Zur thematischen Ausrichtung der Atemarbeit - Die Differenz zur Psychotherapie
Wie es zur Eingliederung der Resonanzabgleiche in die Atemarbeit kam
Das Übertragungsphänomen
siehe auch:
Rezension zur medizinhistorischen Dissertation von Stefan Dietrich “Atemrhythmus und
Psychotherapie”
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